Die freien Amazonen - 3
Folgendes:
»Ich bin oft gefragt worden, wie die so traditionsverhaftete und patriarchalische Gesellschaft auf Darkover die Freien Amazonen hat hervorbringen können. Die Antwort ist, dass sie sie nicht hervorgebracht hat. Als ich ›Expedition der Bittstellter‹ schrieb, hatte ich keine Ahnung, dass ich eine darkovanische Gesellschaft schuf; ich wollte dem Helden der Geschichte nur einen glaubwürdigen Hintergrund und eine Aufgabe geben. Ein Grundprinzip bei jeder guten Erzählung ist, dass die Hauptperson Gelegenheit bekommt, zu wachsen und sich zu verändern. Ich musste Jay/Jason vor ein Problem stellen. War Jason fähig, eine Frau als Anführerin einer Expedition zu akzeptieren? Und wenn ja, würde seine unterdrückte zweite Persönlichkeit Jay Allison, Frauenfeind und dazu wahrscheinlich noch homosexuell, es fertig bringen, sie anzuerkennen und mit ihr zusammenzuarbeiten? Kyla spazierte aus meinem Unterbewusstsein als ein Problem für Jason, eine Herausforderung für seinen Anspruch auf Führerschaft, nicht mehr.«
(Dieses Problem ist nicht auf die Zeit vor der Frauenbefreiungsbewegung um 1960 beschränkt. Arlene Blum geht in ihrem ausgezeichneten Buch über eine nur aus Frauen bestehende Himalaja-Expedition Anapurna: A Woman’s Place, das den Hintergrund für meinen späteren Amazonen-Roman Die schwarze Schwesternschaft bilden sollte, auf die männlich-chauvinistische Haltung der Bergsteiger ein. Ich rate denen, die glauben, dass ich übertreibe, Arlene Blums Buch zu lesen. Einer Frau, die gern an einer Expedition teilnehmen wollte, wurde gesagt - und das im Jahr 1977! -, sie dürfe nur mitmachen, wenn sie bereit sei, mit sämtlichen männlichen Teilnehmern zu schlafen, und bei einer Everest-Besteigung bekamen Bewerberinnen den Bescheid, sie könnten als Köchinnen und Lagerhelferinnen mitkommen, aber es würde ihnen nicht gestattet, weiter als bis zum Basis-Camp aufzusteigen. Die Torheit dieser Einstellung wurde offenbar, als die erste japanische Everest-Expedition eine fünf Fuß große Frau auf das Dach der Weit stellte, und wiederum, als vier Mitglieder von Arlene Blums Anapurna-Expedition diesen Achttausender erklommen, obwohl zwei von ihnen nicht zurückkehrten.)
Die Erste der Freien Amazonen Darkovers wird von Jason, dem Erzähler der Geschichte, wie folgt beschrieben:
»Für ein darkovanisches Mädchen war sie ziemlich klein und schmal gebaut. Ihren Körper konnte man beinahe jungenhaft oder kindlich nennen; er wirkte auf den ersten Blick ganz sicher nicht weiblich. Ihr sonnenverbranntes Gesicht wurde von kurz geschnittenen, blauschwarzen Locken umrahmt, und ihre Wimpern waren derart dicht und lang, dass es unmöglich war, die Farbe ihrer Augen auszumachen. Ihre kleine Stupsnase hätte komisch aussehen können, wirkte stattdessen aber arrogant. Ihr Mund war breit, und sie hatte ein rundes Kinn.
Mit ausgestreckter Hand sagte sie fast mürrisch: ›Kyla Raineach; Freie Amazone und geprüfte Führerin.‹
Die Gilde der Freien Amazonen war in nahezu jeden Beruf vorgedrungen, aber der eines Bergführers war sogar für sie ungewöhnlich. Sie machte einen drahtigen und katzenhaften Eindruck, und unter der schweren, deckenähnlichen Kleidung war ihr Körper beinahe ebenso schmalhüftig und flachbrüstig wie der meine …«
Kyla führt Jason und seine Gruppe erfolgreich und verliebt sich in ihn, was möglicherweise (wenigstens laut einem bestimmten Kritiker des Romans) vorhersehbar ist. Ich hatte nie die Absicht, die Gilde der Freien Amazonen noch einmal auftreten zu lassen, aber vielleicht bedeutete mir die Erfindung mehr, als ich selbst damals glaubte, denn in dem sechsten der Darkover-Romane Die Weltenzerstörer, der ursprünglich der letzte dieser Serie sein sollte (mein moralisches Gegenstück zu Conan Doyle, der Sherlock Holmes die Reichenbach-Fälle hinunterwarf), erschienen zwei Freie Amazonen. Sie wurden als Freipartnerinnen beschrieben (wahrscheinlich, wenn auch nicht ausdrücklich erwähnt, Lesbierinnen, um ein Gegengewicht zu der Sexualidentitätskrise der männlichen handelnden Personen zu schaffen).
Zu der Zeit hatte ich versucht, die Sexualität einer fremden Gesellschaft genau zu porträtieren. Ich fühlte mich verpflichtet, mich diesem Problem zu stellen, weil Studien zeigen, dass noch keine Gesellschaft im Stande war, die Homosexualität auszumerzen. Die schrecklichsten Strafen des Mittelalters einschließlich der Todesstrafe hatten keinen Erfolg, und in toleranten Gesellschaften ist
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