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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Minuten reglos, die weitgeöffneten Augen auf die Kerze gerichtet, die sie blendete. Plötzlich wunderte sie sich: Was tat sie hier, den Kopf von einem Aufruhr erfüllt, dessen Dröhnen sie am Denken hinderte? Es war ein Uhr, sie wäre besser in ihrem Bett aufgehoben. Und mit heißen Händen begann sie sich langsam zu entkleiden.
    Ein Bedürfnis nach Ordnung bestand selbst in diesem Zusammenbruch ihres Lebens fort. Sie verwahrte sorgfältig ihren Hut, warf besorgt einen Blick auf ihre Stiefel, ob sie auch nicht gelitten hätten. Ihr Kleid hing schon zusammengelegt über einer Stuhllehne, sie hatte nur noch einen Unterrock und ihr Hemd an, als ihr Blick auf ihren jungfräulichen Busen fiel. Allmählich färbte eine Flamme ihre Wangen purpurn. Aus der Verwirrung ihres Hirns traten deutlich Bilder hervor und richteten sich auf die beiden anderen in ihrem Zimmer dort unten, einem Zimmer, das sie kannte, in das sie selber am Morgen Blumen gebracht hatte. Die Braut hatte sich niedergelegt, er kam herein, näherte sich mit zärtlichem Lachen. Mit einer heftigen Gebärde ließ sie ihren Unterrock hinabgleiten, zog sie ihr Hemd aus; und nackt jetzt, betrachtete sie sich noch einmal. Für sie gab es also diese Ernte der Liebe nicht? Sicherlich würde sie niemals Hochzeit halten. Ihr Blick ging von ihrem Busen, der fest war wie eine saftstrotzende Knospe, hinab zu ihren breiten Hüften, zu ihrem Leib, in dem eine mächtige Mutterschaft schlummerte. Sie war doch reif, sie sah, wie das Leben ihre Glieder schwellte, sah es in den geheimen Falten ihres Fleisches sich in schwarzem Flaum entfalten, sie atmete ihren Duft eines Weibes wie einen blühenden Strauß, der der Befruchtung harrt. Und nicht sie, die andere war es in jenem Zimmer dort unten, die sie deutlich vor sich sah, wie sie verging in den Armen des Gatten, dessen Kommen sie selber seit Jahren erwartete.
    Doch sie beugte sich noch weiter vor. Die rote Spur eines Blutstropfens auf ihrem Schenkel setzte sie in Erstaunen. Auf einmal begriff sie: Ihr zu Boden geglittenes Hemd schien wie von einem Messerstich mit Blut bespritzt. Darum also empfand sie seit ihrer Abreise von Caen eine solche Schwäche ihres ganzen Körpers? So früh hatte sie diese Wunde nicht erwartet, die der Verlust ihrer Liebe an der Quelle des Lebens öffnete. Und der Anblick dieses Lebens, das nutzlos dahinfloß, machte das Maß ihrer Verzweiflung voll. Das erste Mal, so erinnerte sie sich, hatte sie vor Entsetzen aufgeschrien, als sie sich eines Morgens blutbefleckt gefunden hatte. Und war sie nicht später so kindisch gewesen, abends, bevor sie die Kerze löschte, mit einem verstohlenen Blick das völlige Erblühen ihres Fleisches und ihres Geschlechts zu beobachten? Sie war stolz wie eine Närrin, sie genoß das Glück, Weib zu sein. Ach, welch ein Jammer! Da fiel heute der rote Regen der Geschlechtsreife gleich den vergeblichen Tränen, die ihre Jungfräulichkeit in ihr weinte. Von nun an würde sich dieses Hervorsprudeln wie aus einer reifen, bei der Weinlese zerquetschten Traube jeden Monat wiederholen, und niemals würde sie Weib sein, sie würde in Unfruchtbarkeit alt werden.
    Da packte sie angesichts der Bilder, die ihre Erregung noch immer vor ihr entrollte, wieder die Eifersucht. Sie wollte leben, erfüllt leben, Leben hervorbringen, sie, die das Leben liebte! Wozu auf der Welt sein, wenn man sein Ich nicht verschenkt? Sie sah die beiden anderen, eine Versuchung, ihre Nacktheit zu zerfetzen, ließ sie mit den Blicken die Schere suchen. Warum nicht diese Brust zerschneiden, diese Schenkel zerbrechen, diesen Leib vollends öffnen und dieses Blut bis zum letzten Tropfen ausfließen lassen? Sie war schöner als dieses magere blonde Mädchen, sie war stärker, und er hatte sie dennoch nicht erwählt. Niemals würde sie ihn erkennen, nichts an ihr durfte ihn mehr erwarten, weder die Arme noch die Hüften, noch die Lippen. Alles konnte wie ein leerer Lumpen auf den Müll geworfen werden. War es möglich, daß jene beieinander waren, während sie allein blieb und vor Fieber zitterte in diesem kalten Haus?
    Plötzlich warf sie sich bäuchlings auf das Bett. Sie hatte das Kopfkissen in ihre zuckenden Arme gedrückt, sie biß hinein, um ihr Schluchzen zu ersticken; und sie versuchte ihr empörtes Fleisch zu töten, indem sie es an die Matratze drückte. Lange Erschütterungen hoben sie vom Nacken bis zu den Fersen. Vergebens preßte sie ihre Lider aufeinander, um nichts mehr zu sehen, und sie sah dennoch,

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