Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
brauchte einen reichlichen Monat für die Formalitäten. Thibaudier, Louises Vater, hatte die Werbung Lazares, der sein Patenkind war, sofort angenommen. Nur zwei Tage vor der Hochzeit gab es eine Auseinandersetzung zwischen ihnen, als der junge Mann es rundheraus ablehnte, in Paris eine Versicherungsgesellschaft zu leiten, deren stärkster Aktionär der Bankier war. Er gedachte noch ein oder zwei Jahre in Bonneville zu verbringen, wo er einen Roman, ein Meisterwerk, schreiben wollte, bevor er Paris erobern würde. Im übrigen zuckte Thibaudier nur die Achseln und nannte ihn freundschaftlich einen großen Dummkopf.
    Die Hochzeit sollte in Caen stattfinden. Während der letzten vierzehn Tage war es ein ständiges Hinundherfahren, ein ungewöhnliches Reisefieber. Pauline betäubte sich, begleitete Louise, kehrte zerschlagen heim. Da Chanteau Bonneville nicht verlassen konnte, hatte sie versprechen müssen, der Feier beizuwohnen, wo sie als einzige die Familie ihres Cousins vertreten würde. Das Herannahen dieses Tages setzte sie in Schrecken. Am Abend vorher richtete sie es so ein, daß sie nicht in Caen übernachten mußte, denn ihr schien, als litte sie weniger, wenn sie zurückkäme und in ihrem Zimmer schliefe, beim geliebten Wiegen des großen Meeres. Sie sagte, der Gesundheitszustand ihres Onkels mache sie besorgt, sie wolle sich nicht so lange von ihm fernhalten. Vergebens drängte er selber sie, einige Tage dort zu verbringen: War er denn krank? Im Gegenteil, außergewöhnlich erregt durch den Gedanken an diese Hochzeit, an dieses Mahl, an dem er nicht teilhaben würde, erwog er heimlich, von Véronique ein verbotenes Gericht zu verlangen, ein getrüffeltes Rebhuhn zum Beispiel, das er niemals aß, ohne eines Anfalls gewiß zu sein. Trotz allem erklärte das junge Mädchen, es werde am Abend zurückkommen; und sie rechnete auch damit, auf diese Weise freier zu sein, um tags darauf ihre Koffer zu packen und zu verschwinden.
    Ein feiner Regen fiel, es schlug Mitternacht, als Malivoires alter Wagen Pauline am Abend des Hochzeitstages zurückbrachte. In ihrem blauseidenen Kleid, unzureichend geschützt durch ein kleines Umschlagtuch, fröstelte sie und war sehr bleich, hatte jedoch warme Hände. In der Küche fand sie Véronique, die auf sie wartete und an einer Ecke des Tisches eingeschlafen war; die Kerze, die mit sehr hoher Flamme brannte, blendete ihre Augen, die seit Arromanches weit aufgerissen und, gleichsam erfüllt von der Finsternis der Landstraße, tief schwarz waren. Sie konnte nur zusammenhanglose Worte aus der schlaftrunkenen Köchin herausbekommen: Herr Chanteau sei nicht vernünftig gewesen, jetzt schlafe er, es sei niemand gekommen. Da nahm sie eine Kerze und ging hinauf, erstarrt durch die Leere des Hauses, zu Tode verzweifelt über die Dunkelheit und Stille, die sie erdrückten.
    Im zweiten Stockwerk angelangt, beeilte sie sich, in ihr Zimmer zu flüchten, als eine unwiderstehliche Regung, über die sie sich wunderte, sie Lazares Tür öffnen ließ. Sie hielt die Kerze hoch, um sehen zu können, als wäre das Zimmer voller Rauch. Nichts war verändert, jedes Möbelstück stand an seinem Platz; und doch hatte sie ein Gefühl von Unheil und Vernichtung, eine dumpfe Angst, wie man sie in dem Gemach eines Toten empfindet. Mit immer langsamer werdenden Schritten ging sie zum Tisch, besah das Tintenfaß, die Feder, eine begonnene Seite, die noch herumlag. Dann ging sie fort, es war zu Ende, die Tür schloß sich hinter der tönenden Leere des Raumes.
    In ihrem Zimmer erwartete sie dasselbe Gefühl von etwas Unbekanntem. War das denn noch die gleiche mit blauen Rosen bemalte Tapete, das mit Musselinvorhängen verkleidete schmale Eisenbett? Sie lebte doch dort seit so vielen Jahren! Ohne ihre Kerze abzusetzen, durchsuchte sie, die gewöhnlich so Mutige, den Raum, schob die Vorhänge auseinander, schaute unter das Bett und hinter die Möbel. Es war in ihr eine Erschütterung, eine Betroffenheit, die sie vor den Dingen stehenbleiben ließ. Niemals hätte sie geglaubt, daß von dieser Zimmerdecke, an der sie jeden Fleck kannte, sich eine solche Beklemmung herabsenken könne; und sie bereute in diesem Augenblick, daß sie nicht in Caen geblieben war; ihr kam dieses Haus noch schrecklicher vor, mit Erinnerungen bevölkert und dabei so leer in der kalten Finsternis dieser Sturmnacht. Der Gedanke, zu Bett zu gehen, war ihr unerträglich. Sie setzte sich, ohne selbst ihren Hut abzunehmen, verharrte einige

Weitere Kostenlose Bücher