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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wieder auf den Stuhl gesunken, während Pauline langsam in dem großen Raum hin und her ging und vor jedem Möbelstück verweilte; und von diesen vertrauten alten Dingen, von dem Tisch, den sie mit ihren Ellbogen abgenutzt, von dem Schrank, in dem noch die Spielsachen ihrer Kindheit vergraben waren, von all den Erinnerungen, die da umherlagen, stieg eine Hoffnung wieder in ihr Herz, die sie nicht wahrnehmen wollte und deren Süße sich dennoch nach und nach ihrer ganz bemächtigte. Wenn er sie wirklich genügend liebte, um sich zu weigern, einer anderen zu gehören! Aber sie kannte seine Reaktion, sein Versagen schon am nächsten Tag, wenn das erste Feuer seiner schönen Gefühle verflogen war. Außerdem war es feige, zu hoffen; sie fürchtete, einer List ihrer Schwäche zu unterliegen.
    »Du wirst darüber nachdenken«, sagte sie zum Schluß und blieb vor ihm stehen. »Ich will uns nicht noch mehr quälen ... Ich bin gewiß, daß du morgen vernünftiger bist.«
    Der nächste Tag jedoch verging in großer Befangenheit. Eine dumpfe Traurigkeit, eine Art Verbitterung verdüsterte von neuem das Haus. Louise hatte rote Augen, Lazare floh sie und verbrachte die Stunden eingeschlossen in seinem Zimmer. An den folgenden Tagen dann schwand diese Befangenheit allmählich, und das Lachen begann wieder, das Flüstern, die zärtlichen Berührungen. Pauline wartete, trotz ihrer Vernunft von wahnsinnigen Hoffnungen geschüttelt. Es schien ihr, als habe sie vor dieser furchtbaren Ungewißheit das Leiden nicht gekannt. Eines Abends schließlich, in der Dämmerung, als sie in die Küche hinunterging, um eine Kerze zu holen, stieß sie auf Lazare und Louise, die sich im Flur küßten. Das junge Mädchen entfloh lachend, während er, durch die Dunkelheit ermutigt, nun auch Pauline ergriff und ihr zwei kräftige brüderliche Küsse auf die Wangen drückte.
    »Ich habe es mir überlegt«, murmelte er. »Du bist die Beste und die Vernünftigste ... Aber ich liebe dich noch immer, ich liebe dich, wie ich Mama geliebt habe.«
    Sie hatte die Kraft zu antworten:
    »Es ist also abgemacht, ich bin sehr froh.«
    Aus Furcht, ohnmächtig zu werden, wagte sie nicht, in die Küche zu gehen, denn sie hatte das Gefühl, ganz bleich zu sein, so kalt war ihr Gesicht. Ohne Licht ging sie wieder zu sich hinauf; sie sagte, sie habe etwas vergessen. Und dort in der Finsternis glaubte sie zu sterben; dem Ersticken nahe, fand sie nicht einmal Tränen. Was hatte sie ihm getan, mein Gott, daß er die Grausamkeit so weit trieb, ihre Wunde noch zu vergrößern? Konnte er nicht sofort einwilligen, an dem Tage, da sie noch ihre ganze Kraft besaß, ohne sie mit einer vergeblichen Hoffnung zu schwächen? Jetzt war das Opfer doppelt groß, denn sie verlor ihn ein zweites Mal, und um so schmerzlicher, als sie sich eingebildet hatte, ihn wiederzubekommen. Mein Gott! Sie hatte wohl Mut, aber es war schlecht, ihr die Aufgabe so furchtbar schwer zu machen.
    Es wurde alles schnell geregelt. Véronique war sprachlos und begriff nicht mehr, sie fand, daß die Dinge seit Frau Chanteaus Tod verkehrt liefen. Chanteau aber war es, den diese Lösung am meisten aus der Fassung brachte. Er, der sich für gewöhnlich um nichts kümmerte und allem, was die anderen wollten, mit einem Kopfnicken zustimmte, als habe er sich gleichsam zurückgezogen in den Egoismus der ruhigen Minuten, die er dem Schmerz stahl, begann zu weinen, als Pauline selber ihm die neue Übereinkunft mitteilte. Er sah sie an, er stammelte, Geständnisse entschlüpften ihm in erstickten Worten: Es sei nicht seine Schuld, er habe damals anders handeln wollen, sowohl was das Geld als auch was die Heirat betraf; aber sie wisse doch, wie schlecht es ihm gehe. Da umarmte sie ihn und schwor, daß sie es sei, die Lazare aus Vernunftgründen zwinge, Louise zu heiraten. Im ersten Augenblick wagte er nicht, ihr dies zu glauben; er blinzelte mit einem Rest von Traurigkeit und wiederholte:
    »Ganz bestimmt? Ganz bestimmt?«
    Dann, als er sie lachen sah, tröstete er sich rasch und wurde sogar ganz fröhlich. Endlich war er erleichtert, denn diese alte Angelegenheit lag ihm auf der Seele, ohne daß er darüber zu sprechen wagte. Er küßte Louisette auf die Wangen, er fand am Abend beim Nachtisch wieder ein munteres Liedchen. Beim Zubettgehen jedoch äußerte er eine letzte Unruhe.
    »Du bleibst doch bei uns, nicht wahr?« fragte er Pauline.
    Sie zögerte eine Sekunde, über ihre Lüge errötend:
    »Aber natürlich.«
    Man

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