Die Freundin meines Sohnes
jetzt: wie weiter? Was war jetzt zu tun?
Ich saß den restlichen Nachmittag in meiner Praxis, keine Patienten mehr, keine Sprechstunde mehr bis zum nächsten Tag. Ich saß da und sah mir den Bildschirmschoner an, den Asteroiden, der darüber hinweg flog, und wusste, dass ich morgen wieder hier war. Ich machte meinen Terminplaner auf. Mein Leben ging weiter wie bisher. Warum ich plötzlich diesen Drang hatte, kann ich immer noch nicht erklären, aber ich musste alles in meiner Macht Stehende aufbieten, um nicht zum Telefon zu greifen, Joe anzurufen und ihm zu sagen, sein Martyrium sei seine Angelegenheit und bedeute mir rein gar nichts.
Mina steckte ein-, zweimal den Kopf herein. Ich nickte ihr zu, tat beschäftigt. Montagnachmittags ging ich gewöhnlich meine Kartei durch, erledigte Telefonate, Papierkram für die Versicherung. Ich nahm den Hörer ab und lauschte dem Summton in meiner Hand.
Wie sollte ich es meinem Sohn erklären? Er hatte erwartet, dass ich den Kunstfehlerprozess verlieren würde. Elaine hatte es mir gesagt. Ich würde verlieren, und dann hatten wir beide etwas verloren, und dann würde sich ihm der Zusammenhang erschließen? Aber jetzt war sein alter Herr wieder vom Haken. Was würde er denken? Er hätte es lieber gesehen, wenn ich gelitten hätte. Vielleicht hätte er mir verziehen, wenn ich wirklich gelitten hätte.
Vivaldi. Mein Handy. Ich sah nach unten, bereit, Joe das alles zu sagen und mehr: Ich hätte alles eingesteckt, was er ausgeteilt hätte.
»Pete? Wie war’s?«
Ich holte Luft. »Elaine.«
»Wie ist es ausgegangen, Pete?«
»Sie hat sie abgewiesen.«
»Oh, Himmel, Pete! Gott sei Dank.«
»Ich weiß.«
»Du hörst dich aber nicht glücklich an.«
»Ich weiß nicht.« Warum hörte ich mich nicht glücklich an? »Ich muss es wohl noch verdauen.«
»Kommst du jetzt nach Hause? Würdest du mal ins Haus kommen?«
»Natürlich«, sagte ich. Wir hatten noch einiges zu besprechen, logistische Dinge und Vorgehensweisen. Elaine hatte nach wie vor am folgenden Tag den Termin bei ihrem Anwalt. Na gut. Nicht mal Joe Stern konnte hier Schicksal spielen.
Als ich vor dem Atelier anhielt, parkte ein Transporter auf der Kurve zur Einfahrt, direkt vor dem Haus. Elaine stand auf dem Treppenabsatz des Hauseingangs.
»Ziehst du aus?«, fragte ich. »Oder willst du bloß ein paar von meinen Sachen loswerden?«
»Oh«, sagte sie. »Tja.«
Wir setzten uns zusammen auf die Stufen des Hauseingangs. Das war einfacher als reinzugehen, und außerdem war es draußen wieder schön, warm, aber nicht mehr so feucht wie übers Wochenende. Krokusse, Kaninchen, Magnolien. Die Hirsche kamen wieder an die Fliederbüsche hinter dem Haus.
Ich wusste nicht, wozu Elaine den Transporter brauchte, nahm aber an, sie schaffte letztlich einen Teil meiner Sachen aus dem Haus: Möbel aus der Praxis, die nicht mehr zu gebrauchen waren, stapelweise alte Zeitschriften, Kleidung, die ich seit Jahren nicht mehr angehabt hatte, womöglich sogar solche, die ich noch trug. Sie hatte das Recht, zu entsorgen, was sie loswerden wollte, es war jetzt ihr Haus, und sie konnte wählen, was sie darin noch haben wollte. Ich fragtemich allerdings, wie sie das Zeug selber einladen wollte. Fragte mich, ob ich ihr helfen sollte.
»Wie fühlst du dich?«, fragte sie.
»Wie fühlst du dich?«, erwiderte ich.
»Erleichtert, nehme ich an«, sagte sie. »Phil hat mir erzählt, so ein Kunstfehler-Fall könnte widerrechtliche Tötung werden, wenn es aus dem Ruder läuft. Jahrelanger juristischer Horror. Noch mehr Rechnungen.«
»Die Rechnungen habe ich bezahlt«, sagte ich. »Hat er dir das gesagt?«
»Du weißt doch, wie dein Bruder manchmal ist«, sagte sie. »Er dramatisiert. Ich hatte nicht ernsthaft angenommen, dass man dich wegen widerrechtlicher Tötung einsperrt.«
»Ich auch nicht. Obwohl das wirklich die Krönung gewesen wäre.«
»Aber wirklich.« Sie lächelte, und wir schwiegen einen Moment. Wenn sie meine Sachen ausräumte, war es wohl Zeit, dass ich mich nach etwas Neuem umsah, aus dem Atelier auszog, mir eine Wohnung suchte. In Bergentown fand man jederzeit eine Mietwohnung, im ersten Stock über Gewerbebetrieben, Lebensmittelläden oder über Räumen des Lohnsteuerhilfevereins. Vielleicht konnte ich mir jetzt, nachdem die Klage abgewiesen war, aber sogar ein kleines Haus leisten, einen eigenen kleinen Garten.
»Du siehst immer noch ganz schön mitgenommen aus«, sagte meine Frau.
»Ja?«
»So als würdest du dich
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