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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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kennt mich nicht«, erwidere ich absurderweise.
    »Bei denen weiß man nie, wozu sie fähig sind.« Der Mann packt die Blaufischfilets in seine Kühltasche, hebt den nächsten zappelnden Fisch hoch, tötet ihn mit einem Schlag gegen den Pfosten, und legt ihn zum Ausnehmen auf die Bank.
    »Dizinoff, hörst du mich? Wir kriegen dich am Arsch! Am Montag fällt die Entscheidung. Hörst du, Arschloch?« Der Kerl beugt sich ins Cockpit seines Boots, und ich erschauereunwillkürlich. Er holt etwas Kleines, Silbriges, Glänzendes hervor. Zielt damit auf mich. Ich hole tief Luft. Kneife die Augen zusammen, versuche zu erkennen, was er da in der Hand hat.
    Eine Dose Bier. Großer Gott!
    Heute ist Samstag. Am Montag wird die Richterin entscheiden, ob sie die Klage der Familie Craig zulässt oder nicht. Am Dienstag wird meine Frau nun endgültig den Anwalt wegen unserer Scheidung aufsuchen. Und dann werde ich wissen, woran ich bin, und kann den Rest meines Lebens planen.
    »Wir werden dich vernichten«, sagt der Kerl. Dann wirft er unvermittelt mit der ungeöffneten Bierdose nach mir. Bevor ich mich rühren kann, trifft die Dose mich, heiß brennend, hart am Schienbein, fällt auf den Boden, explodiert, und eine Bierfontäne spritzt mir die Beine hinauf.
    »Sie sollten von hier verschwinden«, nuschelt der Angler, beinahe so, als spräche er mit einem Fisch.
    Ein paar Schritte entfernt rollt das Dosengeschoss aus, schäumt und zischt. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Meine Hose ist pitschnass, mein Herz hämmert, der Kerl im Boot grinst höhnisch, lacht aber nicht.
    »Sind Sie verrückt?«, rufe ich.
    Die Sowjetunion. Gut und Böse. Es war einmal, dass ich wusste, was richtig und was falsch ist.
    »Leck mich, Dizinoff«, ruft der Kerl, zieht eine weitere Dose Bier hervor, zielt auf mich.
    Und ich ducke mich wie der Feigling, der ich bin. Panisch vor Angst drehe ich mich um, renne, stürze, zerreiße mir die Hose, stehe wieder auf. Ich schaffe es bis ans Auto, greife in die Tasche nach meinem Schlüssel, bemühe mich, das Blut, das die Haare an meinem Schienbein verklebt, und das Hämmern in meinen Ohren zu ignorieren. Das Schnellboot wendet und rast über die Wellen auf dem Fluss davon. Er ist fertigmit mir, aber mein Herz pocht weiterhin heftig – ich zittere, als ich mich ans Steuer des Escort setze. Ich verriegele alle Türen. Spüre Schotter vom Parkplatz in der Wunde an meinem Bein.
    Der Angler nimmt weiter am Flussufer seinen Fang aus. Die Wellen des Schnellboots klatschen gegen die Pfähle, aber der Angler achtet nicht darauf, oder es ist ihm egal. Das Boot schießt über den Hudson, als sei es auf einer Ausflugsfahrt, und das Blut läuft langsam auf meinen Schuh zu.
     
    Als ich Roseanne Craig das erste Mal sah, war sie zweiundzwanzig, Berkeley-Absolventin, die Tochter eines Bekannten aus dem JCC, dessen Bluthochdruck ich circa drei Jahre zuvor diagnostiziert hatte. Besonders gut kannte ich ihren Vater nicht, nur gut genug, um ihn im Umkleideraum nickend zu grüßen. Er besaß diverse Autohausfilialen in Teaneck und Paramus, wo unter anderem auch Joe seine Lincolns, Jeeps und Cadillacs kaufte und warten ließ. Roseanne war gerade mit der Uni fertig geworden, sie hatte stark abgenommen und litt an einer leichten Depression, und mangels anderer Ideen hatte ihr Vater sie in meine Praxis am Round Hill geschickt. Ich hatte immerhin den Ruf, herauszukriegen, was anderen fehlte.
    Die Augen klar, die Brust ohne Befund, das Herz poch-poch-pochte. Weder Flüssigkeit in der Lunge noch Schwellungen an Händen oder Füßen, auch keine hervortretenden Adern am Hals, weder Knötchen in der Schilddrüse noch ein aufgetriebener Bauch. Seitens der Patientin keine weiteren Beschwerden außer dem bereits erwähnten Gewichtsverlust – sie brachte immer noch recht ordentliche 150 Pfund auf die Waage – und vielleicht einer allgemeinen Unpässlichkeit.
    »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Psychiater aufsuchen wollen?«
    »Oh, ich habe eine Therapeutin«, sagte sie. »Sie macht auch Reflexzonenmassage.« Als ich das Monate später meinem Anwalt erzählte, lachte er spöttisch und machte sich hektisch Notizen.
    Roseanne Craig war eine hübsche junge, robust wirkende Frau mit dunkelbraunen Augen und schwarzem Haar. Sie hatte Skelett-Tattoos auf den Oberarmen und ein weiteres auf der linken Brust. Einen Frosch. »Der hat eine richtige Geschichte«, sagte sie, ohne dass ich gefragt hatte. Der Frosch war überraschend gut gemacht, ein

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