Die Friesenrose
auf einen Kampf ankommen lassen. Was konnte sie nur tun?
Einer der Franzosen näherte sich ihrem Tisch, und Inken wühlte fieberhaft in ihrer Kleidung nach dem Ausweis von Harm Harmsen, dessen Identität sie angenommen hatte. Dabei glitt ein zweiter Pass in ihre Hand, und eine Idee schoss ihr durch den Kopf. Ja, so könnte es gehen! Sie rückte nahe an Cirk heran, legte einen Arm um seine Schultern und schob ihm dabei blitzschnell von oben den Pass in die Brusttasche seines Hemds. Für den Bruchteil eines Augenblicks hob Cirk den Kopf, und Inken sah seine rechte Augenbraue verwundert in die Höhe fahren.
„Monsieur.“ Der Soldat war an ihren Tisch getreten und hielt ihr auffordernd die Hand entgegen.
Inken legte mit klopfendem Herzen den Pass hinein. Aufmerksam studierte der Soldat die Angaben. Danach gab er den Ausweis zurück und wandte sich Cirk zu. Da seufzte Inken laut auf und zog mit einer entschuldigenden Geste den Pass aus dessen Brusttasche. Der Soldat griff danach, doch bevor er ihn eingehend studieren konnte, zupfte ihn Inken am Ärmel.
„Ach, schauen Sie nur, werter Herr, mein Bruder ist schon wieder betrunken.“ Sie deutete auf Cirk, der jetzt vereinzelte leise Schnarchgeräusche von sich gab. „Es ist aber auch ein Kreuz mit ihm. Erst vor drei Tagen starb unsere Mutter, Gott hab sie selig, und nun hat er schon unser halbes Erbteil versoffen.“ Inken versuchte einen möglichsteinfältigen Eindruck zu erwecken. „Ich hab der Alten auf dem Sterbebett versprochen, auf ihn aufzupassen, aber, Sie sehen ja“ – sie wischte sich wehleidig über die Augen –, „der Alkohol ist ein zu harter Gegner für mich.“ Inken nahm dem Franzosen den ungelesenen Pass ganz nebenbei wieder ab und stopfte ihn in Cirks Tasche zurück. „Ah.“ Sie hob einen Finger und tat, als käme ihr just in diesem Augenblick eine gute Idee. „Die französische Armee sucht doch noch mutige Ostfriesen, die sich in den Dienst Napoleons stellen wollen.“ Sie zog wieder an dem Ärmel des Franzosen und blickte ihm verschwörerisch ins Gesicht. „Mein Bruder bewundert den Kaiser ungemein, und zu einer Unterschrift werde ich ihn schon bewegen können.“ Sie zwinkerte dem Soldaten zu. „Dann hätte ich wenigstens das restliche Geld gerettet, nicht wahr. Und vielleicht zahlt die Armee mir auch noch eine Auslöse? Mein Bruder ist jung und kräftig.“ Sie zeigte auf Cirks Muskeln, die sich deutlich unter dem Hemd abzeichneten. „Er kann arbeiten wie ein Pferd und stundenlang marschieren. Außerdem ...“
Inken redete und redete, bis der Soldat die Augen verdrehte und sie unterbrach. „Schluss jetzt!“ Der Franzose hatte deutlich genug von ihrem Geplapper. „Napoleon braucht keine Trunkenbolde als Soldaten. Bleib mir vom Leib mit deinem Bruder.“ Grob riss er an seinem Ärmel, den Inken immer noch festhielt, und ging dann zum nächsten Tisch.
Inken ließ sich zurücksinken; erst jetzt fingen ihre Hände an zu zittern. Unaufgefordert brachte ihr der Wirt Bier und einen Schnaps.
„Zum Wohl“, meinte er, einen Ausdruck von Bewunderung auf dem Gesicht. „Trink! Der Rum wird die Blässe aus deinem Gesicht vertreiben!“
„Was wird geschehen, wenn die Soldaten mit der Suchenach dem Schmugglergut beginnen?“ Inkens Worte kamen fast lautlos über ihre Lippen.
Die Mundwinkel des Wirtes zuckten amüsiert. „Keine Angst! Wir haben da so ein kleines Versteck unter dem Misthaufen angelegt. Und just in diesem Augenblick sind ein Dutzend Männer damit beschäftigt, die Waren dort unterzubringen.“
Inken nickte, und ihr wurde bewusst, dass es dem Wirt und den Menschen hier ebensolche Freude bereitete, die Franzosen an der Nase herumzuführen, wie den Ditzumer Fischern. Nichtsdestotrotz ging ein Aufatmen durch die Menge, als die Soldaten unter Flüchen und Androhungen den Schankraum endlich wieder verließen.
Cirk hob den Kopf vom Tisch und blickte Inken lange nachdenklich an.
„Wo hast du so gut zu lügen gelernt?“
Inken schwieg, und Cirk griff nach ihrer Hand. Seine Augen leuchteten.
„Ich danke dir – aber warum hast du das getan? Dies wäre doch die beste Möglichkeit gewesen, um mich ganz schnell loszuwerden?“
Inken biss sich auf die Lippen. Der Schmuggler sollte sich nur ja nichts einbilden.
„Ich habe es für Hugues getan, schließlich sind Sie sein Freund“, rechtfertigte sie sich daher knapp und drehte Cirk den Rücken zu. „Das war ich ihm schuldig.“
„Für Hugues also.“ Cirk verzog gespielt
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