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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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«Menschen auf dem Land
ändern
sich nicht groß. Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen und glaube auch nicht, dass wir das müssen.»
    «Aber du
hast
dich geändert.»
    «Das ist was anderes. Ich bin ja nicht wirklich von hier.» Betty verließ den Turm durch den bogenförmigen Durchgang und betrat den gefrorenen Matsch im vorderen Teil der Kirche, wo sich wahrscheinlich früher der Altarraum befunden hatte. «Meine Eltern haben nur zufällig hier gearbeitet, als ich geboren wurde. Sie waren von draußen, ich bin in Wirklichkeit von draußen.»
    «Von wo?»
    «Das sagt man hier so. Wenn jemand zugewandert ist, dann kommt er
von draußen
. Ich hatte das ganz vergessen. Ich war noch nicht mal elf, als wir weggegangen sind. Und dann waren wir in Yorkshire, und Yorkshire hat alle Spuren verwischt.»
    Vom Himmel hingen Vorhänge aus kaltem rotem Licht in dasdachlose Kirchenschiff. Als Robin in dem Torbogen zum Turm erschien, nahm sie seine kalten Hände in ihre noch kälteren.
    «Tut mir leid, dass ich so eine Zicke war. Das war ein wirklich harter Tag.»
    Die Mauern um sie herum wirkten trübselig. Sie sahen aus wie das riesige, geschwärzte Skelett eines Schafes, dessen Rippen aufgebrochen worden waren. Die Kirche passte überhaupt nicht zu dem Haus, aber sie hatten es nur zusammen mit der Ruine bekommen. Robin war begeistert gewesen. Für ihn wurde die Kirche zum
entscheidenden
Argument für den Kauf.
    Betty ließ Robins Hand los. Ihr gegenüber musste der Altar gestanden haben – auf der englischen Seite. Und hier, an diesem kalten Januarabend, hatte sie mit einem Mal die Vision. Sie sah undeutlich einen Betenden – einen Mann in einem langen, schwarzen, fleckigen Gewand. Sein Gesicht war unrasiert, glänzte vor Hitze und wohl auch vor Angstschweiß. Er hatte etwas entdeckt oder gesehen, oder ihm war etwas gesagt worden, womit er nicht leben konnte. Nur einen Augenblick später hatte Betty das Gefühl, in dem Gestank aus Angstschweiß und Körpergeruch ersticken zu müssen.
    Nein!
Sie sog die kalte Luft tief ein, zog sich den wollenen Hut vom Kopf und schüttelte ihre weizenblonde Mähne.
Geh weg. Ich will dich nicht.
    Kalt. Feucht. Sonst nichts. Sie schüttelte sich wie ein nasser Hund.
Weg.
    So kamen ihre Visionen stets. Ohne Vorwarnung, selten änderte sich auch nur die Temperatur.
    «Und jetzt ist es offiziell ja auch keine Kirche mehr», erinnerte Robin sie – er hatte, natürlich, nichts mitbekommen. «Es geht hier also gar nicht darum, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Solange wir das Gemäuer nicht abreißen, können wir machen, was wir wollen. Das ist
so cool
. Wir erobern uns einen alten, heiligen heidnischen Ort zurück!»
    Wieso eigentlich heilig?, dachte Betty angewidert und wunderte sich selbst, wie ruhig sie reagierte: «Ich denke einfach, wir sollten es langsam angehen lassen. Ich weiß, das alles hier wird nicht mehr genutzt, aber es wird garantiert Einheimische geben, deren Familien hier seit Jahrhunderten gebetet haben, deren Großeltern hier geheiratet haben und   … begraben worden sind sie hier natürlich auch.»
    Rund um die Kirche war immer noch ein Dutzend Grabsteine und Gräber zu sehen, und obwohl alle sterblichen Überreste weggebracht worden sein sollten, nachdem die Diözese das Gebäude abgestoßen hatte, wusste Betty, dass sie unweigerlich Knochen ausgraben würden, wenn sie hier mal einen Garten anlegten.
    «Und vielleicht», sagte Robin beschwingt, «vielleicht gibt es auch Leute, deren Vorfahren hier schon viel früher gebetet haben,
bevor
es eine christliche Kirche war.»
    «Das halte ich für etwas übertrieben.»
    «Ich übertreibe gern.»
    «Allerdings», pflichtete Betty ihm gallig bei.
    Sie verließen die Ruine, gingen über das winterharte Feld und dann über den Hof zur Rückseite des Hauses. Sie hatte in der Halle das Licht angelassen. Es war das einzige Licht weit und breit – wenn man allerdings um das Haus herum in den Vorgarten ging, konnte man schwach die Lichter der Ortschaft Old Hindwell durch die hohe, kahle Hecke blinken sehen.
    Betty hörte den Bachlauf des Hindwell rauschen, der diese Stelle praktisch zu einer Insel machte, wenn er so viel Wasser führte wie jetzt.
    All die Wochen, in denen sie immer wieder mit dem Lieferwagen von Robins Cousin hergekommen waren, um ihre Bücher und das ganze Zeug aus ihrer Wohnung in Shrewsbury herzubringen, hatte es stark geregnet. Und die ganze Zeit hatten sie sich gefragt,ob sie wohl das Richtige taten. Zumindest

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