Die Fünfundvierzig
aufmerksam das Haus. Fournichon rollte zu vier und vier Stufen seine Treppe hinab und stellte sich, seine Mütze in den Händen zusammengerollt, vor die Tür.
Der Kapitän dachte einen Augenblick nach und stieg dann ab.
»Ist niemand hier?« fragte er.
»Für den Augenblick nicht,« antwortete demütig der Wirt. Er wollte eben hinzufügen: »Es ist dies jedoch nicht gewöhnlich so in meinem Hause.«
Aber Frau Fournichon war, wie beinahe alle Frauen, scharfsichtiger als ihr Mann; sie rief daher eiligst von ihrem Fenster aus: »Sucht der Herr die Einsamkeit, so wird er sich bei uns vortrefflich finden.«
Der Kapitän richtete seine Augen in die Höhe, und als er das gute Gesicht sah, nachdem er die gute Antwort gehört hatte, erwiderte er: »Für den Augenblick, ja, das ist es gerade, was ich suche, meine gute Frau.«
Frau Fournichon eilte sogleich dem Fremden entgegen, indem sie zu sich sagte: »Diesmal gibt Amors Rosenstock Geld zu lösen und nicht das Schwert des kühnen Ritters.«
Der Kapitän war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, während er erst achtundzwanzig alt zu seinschien, so viel Sorge verwandte er auf seine Person. Er war groß, gut gewachsen, von ausdrucksvoller und feiner Physiognomie; bei näherer Prüfung hätte man vielleicht etwas Geziertes in seinem großartigen Wesen gefunden, doch geziert oder nicht, sein Wesen blieb immerhin großartig.
Er warf seinem Begleiter den Zaum eines herrlichen Pferdes zu und sagte zu ihm: »Führe das Pferd auf und ab und erwarte mich hier!«
Sobald er sich sodann im großen Saale des Wirtshauses befand, blieb er stehen und sagte, einen Blick der Zufriedenheit umherwerfend: »Oh! oh! ein so großer Saal und kein einziger Zecher! Sehr gut!«
Meister Fournichon schaute ihn mit Erstaunen an, während ihm Frau Fournichon verständnisvoll zulächelte. Der Kapitän fuhr fort: »Es ist also etwas in Eurem Benehmen oder in Eurem Hause, was die Gäste fernhält.«
»Gott sei Dank, weder das eine noch das andere, mein Herr,« erwiderte Frau Fournichon. »Das Quartier ist nur neu, und was die Kunden betrifft, so sind wir wählerisch.«
»Ah! sehr gut,« sagte der Kapitän.
Meister Fournichon billigte mit dem Kopfe die Antworten seiner Frau.
»Zum Beispiel,« fügte sie mit einem gewissen Augenblinzeln hinzu, das den Urheber des Planes von Amors Rosenstock offenbarte, »für einen Kunden wie Eure Herrlichkeit ließe man gern zwölf gehen.«
»Das ist artig, meine hübsche Wirtin, und ich danke.«
»Will der gnädige Herr Wein kosten?« fragte Fournichon mit seiner am mindesten heiseren Stimme.
»Will der gnädige Herr die Wohnungen besichtigen?« flötete Frau Fournichon mit ihrer süßesten Stimme.
»Beides mit Eurer Erlaubnis,« erwiderte der Kapitän.
Fournichon stieg in den Keller hinab, während seine Frau ihrem Gaste die nach dem Türmchen führende Treppezeigte, auf der sie ihm voranging, wobei sie ihren Rock zierlich etwas aufhob.
»Wieviel Personen könnt Ihr quartieren?« fragte der Kapitän, als er im ersten Stock angelangt war. – »Dreißig Personen, worunter zehn Herren.«
»Das ist nicht genug, schöne Wirtin.« – »Warum, mein Herr?«
»Ich hatte einen Plan, sprechen wir nicht mehr davon.« – »Ah! mein Herr, Ihr werdet sicherlich nichts Besseres finden, als Amors Rosenstock .«
»Warum Amors Rosenstock ?« – »Den kühnen Ritter , wollte ich sagen, und wenn man nicht den Louvre hat ...«
Der Fremde heftete einen seltsamen Blick auf sie.
»Ihr habt recht,« sagte er, »wenn man nicht den Louvre hat.«
Dann fuhr er beiseite fort: »Warum nicht, das wäre bequemer und minder teuer.«
»Ihr sagt also, meine gute Dame,« sagte er laut, »Ihr könnet hier dreißig Personen zum Wohnen aufnehmen?« – »Ja, gewiß.«
»Aber für einen Tag?« – »Oh! für einen Tag vierzig und sogar fünfundvierzig.«
»Fünfundvierzig, Parfandious! Das ist gerade meine Zahl.« – »Wirklich! seht, wie glücklich sich das trifft.«
»Und ohne daß es auswärts Lärm macht?« – »Sonntags haben wir oft achtzig Soldaten hier.«
»Und keine Zusammenrottung vor dem Hause, kein Spion unter den Nachbarn?« – »Oh! mein Gott, nein; wir haben keinen andern Nachbarn, als einen würdigen Bürger, der sich nie in eines Dritten Angelegenheiten mischt, und keine andere Nachbarin, als eine Dame, die so zurückgezogen lebt, daß ich sie in den drei Wochen, die sie hier wohnt, noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe; alle übrigen sind
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