Die Furcht des Weisen / Band 1
Simmon.
Puppet sah zu Wilem hinüber.
»Das mit dem Gewand hat mir gefallen«, sagte Wil. »Aber ich hab mir Taborlin immer mit einer sanften Stimme vorgestellt.«
»Oh.« Nun endlich richtete sich sein Blick auf mich. »Hallo.«
»Hallo«, sagte ich in meinem höflichsten Tonfall.
»Dich kenne ich nicht.« Pause. »Wer bist du?«
»Ich bin Kvothe.«
»Da scheinst du dir ja sehr sicher zu sein«, sagte er und sah mich prüfend an. Wiederum Pause. »Mich nennen sie Puppet.«
»Wer ›sie‹?«
»Wer sie was?«
»Ich meine: Wer ist ›sie‹?«
»Wer sind sie?«, berichtigte er mich mit erhobenem Zeigefinger.
|425| »Also gut: Wer sind ›sie‹?«, sagte ich und lächelte.
Er erwiderte mein Lächeln auf zerstreute Weise und machte eine vage Handbewegung. »Ach, du weißt schon: die Leute.« Er musterte mich weiter mit einem Blick, mit dem ich vielleicht einen interessanten Stein oder ein fremdartiges Blatt betrachtet hätte.
»Wie nennst du dich denn selbst?«, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen.
Die Frage schien ihn zu überraschen, und sein Blick wurde wieder etwas normaler. »Das hieße dann doch wohl ein bisschen viel verraten«, erwiderte er mit leichtem Tadel. Er sah zu Wilem und Simmon hinüber. »Tretet doch ein.« Dann wandte er sich um und ging ins Zimmer zurück.
Dieses Zimmer war nicht besonders groß, aber es wirkte hier, tief im Bauch der Bibliothek, auf bizarre Weise fehl am Platz. Ein tiefer, gepolsterter Sessel und ein großer Holztisch standen darin, und zwei Türen führten in Nebenräume.
Bücher stapelten sich auf Regalen und in Bücherschränken. Ein zugezogener Vorhang vor einer Wand versetzte mich in Erstaunen. Ich musste mich des Eindrucks erwehren, dass sich dahinter ein Fenster befand, obwohl ich ganz genau wusste, dass wir hier tief unter der Erde waren.
Der Raum wurde von Kerzen erhellt – von langen, dünnen und dicken, triefenden Wachssäulen. Und jede einzelne dieser Kerzen flößte mir ein vages Unbehagen ein, angesichts des Gedankens an eine offene Flamme in einem Gebäude, das angefüllt war mit abertausenden kostbaren Büchern.
Und dann waren da die Marionetten. Sie hingen an Regalen und Wandhaken, lagen zusammengekrümmt in Ecken und unter Stühlen, und einige, die gerade im Bau oder in Reparatur waren, ruhten inmitten allerlei Werkzeuge auf dem Tisch. Ein Gestell mit diesen Figuren nahm eine ganze Wand ein, und jede einzelne von ihnen war die kunstvoll geschnitzte und bemalte Nachbildung einer bestimmten Person.
Auf dem Weg zum Tisch streifte Puppet das schwarze Gewand ab und ließ es achtlos zu Boden gleiten. Darunter war er ganz schlicht gekleidet: zerknittertes weißes Hemd, zerknitterte dunkle Hose und |426| nicht zusammenpassende, an den Fersen schon vielfach gestopfte Socken. Ohne Gewand und Kapuze war er sichtlich älter, als ich angenommen hatte. Sein Gesicht war zwar glatt und faltenlos, sein Haar aber schon weiß und schütter.
Er machte einen Stuhl für mich frei, indem er eine kleine Marionette vorsichtig von der Sitzfläche hob und in einem nahen Regal unterbrachte. Dann setzte er sich an den Tisch. Wilem und Simmon ließ er stehen, was sie aber nicht allzu sehr zu befremden schien.
Nachdem er kurz in dem Durcheinander auf dem Tisch gewühlt hatte, zog er ein unregelmäßig geformtes Holzklötzchen und ein kleines Messer daraus hervor. Er blickte mir noch einmal lange und forschend ins Gesicht und begann dann mit viel Geschick zu schnitzen, und kleine Holzlöckchen segelten dabei auf die Tischplatte hinab.
Ich verspürte seltsamerweise keinerlei Verlangen, zu fragen, was hier vor sich ging. Wenn man so viele Fragen stellt wie ich, entwickelt man irgendwann ein Gespür dafür, wann sie angebracht sind und wann nicht.
Außerdem konnte ich mir die Antwort schon vorstellen. Puppet war einer jener hochbegabten, geistig aber nicht gänzlich gesunden Menschen, die an der Universität eine Nische für sich gefunden hatten. Exzentrische Charaktere gab es an dieser Hochschule zuhauf.
In der Arkanumsausbildung mit ihrer unnachgiebigen Strenge gedeihen in den Gehirnen der Studenten widernatürliche Dinge. Am bemerkenswertesten ist dabei die Fähigkeit, das auszuüben, was gemeinhin Magie oder Zauberei genannt wird und was wir mit den Begriffen Sympathie, Sygaldrie, Alchemie, Namenskunde et cetera bezeichnen.
Manche Gehirne kommen damit gut zurecht. Andere geraten in Schwierigkeiten.
Meist kommt es unter den Strapazen des Arkanums nicht zu
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