Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Ufer und zog mir das nasse Hemd und die Weste aus. Meine durchnässte Hose musste ich anbehalten, denn sonst hatte ich nichts mehr anzuziehen. »Was erzählt dir denn
dieser
Stein?«, fragte ich, um das Schwiegen zu überbrücken, während ich mein Hemd neben ihr Kleid über den Graustein legte.
Sie fuhr mit einer Hand über die glatte Oberfläche des Felsblocks und sagte, ohne die Augen aufzuschlagen: »Er erzählt mir, wie es ist, sein Leben im Wasser zu verbringen, ohne ein Fisch zu sein.« Sie streckte sich wie eine Katze. »Bring den Korb mit, ja?«
Ich nahm den Korb und watete zu ihr hinüber, wobei ich mich ganz vorsichtig bewegte, um keine Wellen zu schlagen. Sie lag vollkommen reglos da, als wäre sie eingeschlafen. Dann sah ich aber, dass sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. »Du bist ganz still«, sagte sie. »Aber ich kann riechen, dass du da stehst.«
»Es riecht hoffentlich nicht allzu schlimm.«
Sie schüttelte sacht den Kopf, ohne die Augen zu öffnen. »Du riechst nach getrockneten Blumen. Und wie ein exotisches Gewürz, das vor sich hin schwelt, kurz davor, in Flammen aufzugehen.«
»Und vermutlich doch wohl auch nach dem Wasser dieses Bachs.«
Sie streckte sich erneut und lächelte leicht, und ich sah das makellose Weiß ihrer Zähne und das vollkommene Rosarot ihrer Lippen. Dann verlagerte sie ihren Körper auf dem Fels ein wenig, fast als würde sie für mich zur Seite rutschen. Fast. Ich überlegte, mich zu ihr zu gesellen. Der Fels war groß genug für zwei, wenn man bereit war, eng nebeneinander zu liegen …
»Ja«, sagte Denna.
»Ja? Wozu?«, fragte ich.
»Auf deine Frage«, sagte sie und wandte mir das Gesicht zu, die Augen weiterhin geschlossen. »Du willst mir doch gerade eine Frage stellen.« Sie verlagerte ihren Körper erneut ein wenig. »Und die Antwort darauf lautet: Ja.«
Wie sollte ich das auffassen? Was sollte ich sie fragen? Ob ich sie küssen dürfte? Oder mehr? Wieviel mehr wäre zu viel? Stellte sie mich auf die Probe? Ich wusste nur, wenn ich zu viel von ihr verlangte, würde ich sie damit nur vertreiben.
»Ich wollte dich gerade fragen, ob du ein bisschen zur Seite rutschen magst«, sagte ich.
»Ja.« Sie bewegte sich erneut und machte neben sich Platz. Dann schlug sie die Augen auf. Als sie mich ohne Hemd dastehen sah, starrte sie mich an, beruhigte sich aber wieder, nachdem sie mit einem schnellen Blick festgestellt hatte, dass ich nach wie vor meine Hose trug.
Ich lachte zwar, aber ihr schockierter Blick ließ mich doch wieder vorsichtig werden. Ich stellte den Korb dorthin, wo ich mich eigentlich selbst hatte hinlegen wollen. »Was hat Euch denn gerade so erschreckt, Mylady?«
Sie errötete leicht verlegen. »Ach, nichts. Ich hatte nicht gedacht, dass du der Typ Mann bist, der sich komplett entblättert, wenn er einer Dame ihr Mittagessen kredenzt.« Sie zuckte die Achseln, sah zu dem Korb hinüber, dann wieder zu mir. »Aber so gefällst du mir. Nun habe ich einen eigenen Sklaven, der mir mit freiem Oberkörper aufwartet.« Sie schloss die Augen. »Füttere mich mit Erdbeeren.«
Ich gehorchte bereitwillig, und so ging der Nachmittag dahin.
Das Mittagessen lag nun schon eine ganze Weile zurück, und die Sonne hatte uns getrocknet. Zum ersten Mal seit unserem Streit in Severen hatte ich das Gefühl, dass es zwischen uns wieder zum Besten stand. Das Schweigen unterbrach unser Gespräch nicht mehr wie Schlaglöcher eine Straße. Ich hatte gewusst, dass es nur darauf ankommen würde, geduldig abzuwarten, und die Anspannung würde sich wieder lösen.
Und während dieser Nachmittag allmählich vorüberging, wusste ich, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, um ein Thema anzusprechen, das anzusprechen ich mir sehr lange versagt hatte. Ich sah das stumpfe Grün alter Blutergüsse an ihren Oberarmen und die letzten Überreste von Striemen auf ihrem Rücken. Sie hatte auch eine Narbe am Bein, knapp überm Knie, die noch so frisch war, dass ihr Rot durch das weiße Unterkleid hindurchschimmerte.
Ich brauchte weiter nichts tun als sie danach zu fragen. Wenn ich es vorsichtig formulierte, würde sie gestehen, dass diese Verletzungen von ihrem Schirmherrn stammten. Von da an würde es einfach sein, sie aus der Reserve zu locken. Ihr klar zu machen, dass sie etwas Besseres verdiente. Dass es diese Misshandlungen nicht wert war, was auch immer er ihr bot.
Zudem befand ich mich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Position, in der ich ihr einen
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