0191 - Fenris, der Götterwolf
Herbst…
Die Tage zwischen Oktober und November. Eine traurige Zeit.
Stunden der Besinnung, der Muße, in denen der Mensch wieder an sein Ende denkt. Wo er zusieht, wie sich die Blätter der Bäume und Sträucher färben, kraftlos werden und dann zu Boden fallen, um zu sterben.
Im Herbst sind Beerdigungen noch trauriger, als zu irgendeiner anderen Jahreszeit. Da atmen die Friedhöfe den Geruch von Moder, Tod und Verwesung. Es ist die Zeit, wo sie auch öfter besucht werden. Man gedenkt wieder der Verstorbenen oder seilt sie hinab in das feuchte, kühle Grab.
Der Herbst läßt sterben…
Nebelschwaden drehen sich im geisterhaften Tanz. Und wenn es die Sonne einmal geschafft hat, so versuchen sie, ihr Licht wegzusaugen, um nur keine Helligkeit in die Welt der Trauer und des Sterbens zu lassen.
Die Nächte werden kühl. Erste Fröste härten die Oberfläche des Bodens und machen das herabgefallene Laub steif und knisternd.
Früher hatte auch ich den Herbst gemocht, doch heute gefiel mir die sterbende Natur nicht mehr. Vielleicht weil ich älter geworden war und immer daran erinnert wurde, wie vergänglich doch alles im Leben war. Und noch schlimmer war eine Beerdigung im Herbst.
Eine Beerdigung, die mich persönlich sehr berührte, denn wir trugen eine Frau zu Grabe, die mir zu einer sehr guten Freundin geworden war.
Nadine Berger!
Sie war gestorben, und die geballte Kunst der Ärzte hatte es nicht geschafft, den Tod zu überwinden. Der Knochenmann aus dem Jenseitsreich war schneller gewesen. Mich hatte man mit diesem sinnlosen Tod treffen wollen, und meine Gegner hatten mich getroffen.
Verdammt tief sogar. Ich hatte Nadines Mörder zwar vernichtet, ein gefährliches giftgrünes Monster aus einem Jenseitsreich, doch auch meine Silberkugeln hatten die Schauspielerin nicht mehr retten können. Zudem war ich noch verletzt worden. Einer von Logan Costellos Killern hatte mir eine Kugel ins Bein geschossen. Ich mußte im Krankenhaus liegen. Nur ein paar Zimmer von dem Raum entfernt, in dem Nadine Berger starb. Ich hatte sie tot auf der Bahre liegen sehen. Es war ein Anblick gewesen, den ich nie in meinem Leben vergessen würde, und der Schock saß jetzt noch tief. [1] In der abgelaufenen Woche hatte ich das Lachen verlernt. Ich mußte im Krankenhaus das Bett hüten, damit die Beinwunde verheilte. Dabei hatte ich Zeit genug gehabt, um nachzudenken. War es ein Fehler von mir gewesen? Hätte ich nicht damit rechnen müssen, daß sich meine Gegner an irgendeiner Person aus meinem Freundeskreis rächen würden? Natürlich, damit mußte man immer rechnen, wir lebten in einer permanenten Gefahr. Nur wenn man plötzlich mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert wurde, dann sah alles anders aus. Das war so schrecklich endgültig. Es war kein Traum, aus dem man erwachen konnte, sondern Realität, wobei die Fragen nie aufhörten. Hätte man nicht etwas retten können? Wäre dann nicht alles anders gelaufen?
Vor allen Dingen in den langen Nächten hatten mich die Selbstvorwürfe gequält. Da lag ich stundenlang wach, grübelte über den Tod der Nadine Berger und dachte auch über meine lebenden Freunde und mich nach. Ich zog eine Art Bilanz und mußte mir eingestehen, daß ich in all den Jahren sehr wenig erreicht hatte. Ich war gegen das Böse, gegen die Mächte der Finsternis nicht angekommen.
Viele hatte ich besiegen können, vor allen Dingen am Anfang, als sich die Dämonen noch nicht zusammengeschlossen und formiert hatten. Mit der Zeit hatten sie hinzugelernt und waren schlauer geworden. Wenn sie jetzt etwas taten, dann griffen sie konzentriert an und suchten sich Schwachstellen aus, wo sie uns treffen konnten.
Bei Nadine Berger hatten sie es geschafft. Sie war gestorben, und ich hatte es nicht verhindern können.
»Warum quälst du dich, John?« Suko, mein chinesischer Freund und frischgebackener Inspektor, stellte die Frage. Er saß neben mir und lenkte den Bentley, weil ich auf mein Bein noch Rücksicht nehmen mußte. Wenn ich es anstrengte, schmerzte die Wunde an meinem linken Oberschenkel noch immer. Deshalb hatte ich es vorgezogen, Suko chauffieren zu lassen.
»Würdest du das nicht tun?« Die Antwort war eine Gegenfrage.
»Wahrscheinlich.«
»Na bitte.«
»Aber du hattest keine Schuld, John.«
Ich drehte meinen Kopf nach rechts und schaute Suko an. »Laß es, bitte, wir haben lange genug darüber diskutiert. Ich muß damit fertigwerden und schaffe es auch. Ich bin nur froh, wenn ich die
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