Gaelen Foley - Knight 02
der besten Spione Britanniens hatte Lucien Befehl von Au- ßenminister Lord Castlereagh erhalten, sozusagen als Tür- wächter zu fungieren, bis der Frieden ausgehandelt war. Sei- ne Mission war es somit, die dunklen Mächte daran zu hin- dern, auf britischem Boden Unheil anzurichten.
Er nahm noch einen Schluck Wein. Seine silbergrauen Au- gen glommen auf. Sollen sie ruhig kommen. Er würde sie ausfindig machen, in die Falle locken, fangen und vernich- ten, wie so viele andere vor ihnen. Und er würde dafür sor- gen, dass sie zu ihm kämen.
Plötzlich brach im Ballsaal Jubel aus. Na, wenn das nicht der große Held höchstpersönlich ist. Lucien beugte sich vor und sah mit zynischem Lächeln zu, wie sein Zwillingsbruder Colonel Lord Damien Knight den Raum betrat, eine prächti- ge Erscheinung in scharlachrotem Rock, welche die strenge Würde des Erzengels Michael verströmte, nachdem er den Drachen durchbohrt hatte. Der Glanz des Galadegens und der goldenen Epauletten wirkte wie ein Heiligenschein, und die Leute scharten sich bewundernd um ihn. Damien war schon immer ein Liebling der Götter gewesen.
Lucien schüttelte den Kopf. Obwohl um seine Lippen ein ironisches Lächeln spielte, verriet sein Blick Schmerz. Als wäre es nicht schon genug, dass der Colonel mit seinen mu- tigen Heldentaten in der Schlacht die Massen begeisterte, nun wurde er als der ältere Zwilling auch noch zum Earl ge- macht. Luciens Schmerz war allerdings nicht auf Eifersucht zurückzuführen, sondern auf das fast kindliche Gefühl, von seinem treusten Verbündeten im Stich gelassen worden zu sein. Damien war der Einzige, der ihn je verstanden hatte. Die meisten ihrer einunddreißig Jahre waren die Knight- Zwillinge unzertrennlich gewesen. In ihrer wilden Jugend hatte man sie Lord Luzifer und Lord Dämon genannt, und besorgte Debütantinnenmütter hatten ihre Töchter vor den beiden Teufeln gewarnt. Doch diese unbeschwerten Tage waren vorüber, denn Lucien hatte den soldatischen Ehren- kodex seines Bruders verletzt.
Damien hatte nie ganz akzeptieren können, dass Lucien die Armee vor zwei Jahren verlassen hatte und dem Geheim- dienst beigetreten war. Als Offizier eines Linienregiments betrachtete man Spionage eben als etwas Ehrenrühriges. Für Damien und seine Kollegen waren Spione nicht besser
als Schlangen. Damien war der geborene Krieger. Jeder, der ihn in der Schlacht gesehen hatte, das Gesicht voll Pulver und Blut, wusste das. Aber ohne die Erkenntnisse über feindliche Stellungen, Stärke und Angriffspläne des Geg- ners, die Lucien ihm unter Missachtung sämtlicher Befehle und Gefahr seines eigenen Lebens hatte zukommen lassen, hätte Damien nicht ganz so oft gesiegt. Wie sehr es doch den Stolz des großen Befehlshabers verletzen musste, dass er oh- ne die Hilfe seines spionierenden Bruders niemals zu sol- chem Ruhm gelangt wäre.
Egal, dachte Lucien zynisch. Ich weiß immer noch besser als jeder andere, wie ich den Kriegshelden vom Sockel sto- ßen kann.
„Lucien“, hauchte plötzlich eine heisere Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um und entdeckte in der Tür Caros üppige Gestalt. „Schau an, die liebe Lady Glenwood“, schnurrte er und streckte ihr mit dunklem Lächeln die Hand entgegen. Damien würde sich einfach schwarz ärgern!
„Ich habe dich überall gesucht!“ Sie eilte zu ihm, so dass ihre püppchenhaften Korkenzieherlocken wippten und ihre schwarzen Seidenröcke raschelten. Mit einem raffinierten Lächeln im geschminkten Gesicht ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm an sich ziehen. „Damien ist hier ...“
„Wer?“ murmelte er, während er ihre Lippen mit den sei- nen streifte.
Sie stöhnte auf und schmiegte sich an ihn, schwarzen Sa- tin an weißen Brokat. Letzte Nacht war es Haut an Haut ge- wesen.
Obwohl die siebenundzwanzigjährige Baronin Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Gatten trug, bezweifelte Lu- cien, dass sie seinetwegen viele Tränen vergossen hatte. Für eine Frau von Caros Schlag war ein Ehegatte nur ein Hin- dernis auf dem Weg zum Vergnügen. Das Mieder ihrer Robe war so winzig, dass es ihre schwellenden Brüste kaum be- deckte. Der nachtschwarze Satin ließ ihr Dekolletee wie aus Alabaster wirken, und das Scharlachrot ihrer Lippen wur- de von den roten Rosen aufgenommen, die ihr hochgesteck- tes schokoladenbraunes Haar schmückten. Nach einem Mo- ment beendete Caro den Kuss, indem sie die Hände gegen seine Brust stemmte.
Als sie ein Stück von ihm abrückte, sah er, dass sie
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