Die Gamnma Option
erwidern.
»Ich denke gerade darüber nach, daß ich bei all der Scheiße, die wir gemeinsam durchgemacht haben, nicht einmal weiß, wie alt du bist.«
Wareagle stand auf, nahm einen Kessel vom Kamin und goß das kochende Wasser in zwei Becher, in denen sich ein selbstgemischter Tee befand. »So alt wie die letzte Jahreszeit und so jung wie die nächste.«
»In Jahren, meine ich, Indianer.«
»Blainey, die Jahre eines Mannes schwanken genau wie seine Gedanken. Wir sind hier von der Geburt bis zum Ende der uns zugestandenen Zeit, und was dazwischen liegt, messen wir in Begriffen, für die wir uns willkürlich entschieden haben.«
»Du sprichst mit einem Mann, der gerade vierzig geworden ist.«
»Mit einem Mann, der nicht den ganzen Weg hierher gefahren ist, um darauf anzustoßen.«
Wareagle rührte den Inhalt der Becher um und kehrte zu Blaine zurück, der in einem hohen Holzstuhl saß. McCracken kam sich von der Größe der Einrichtung wie erdrückt vor. Alles in der Hütte, von der Höhe der Decke bis zu den Möbeln, war auf Johnnys Körpergröße von zwei Metern und zehn ausgerichtet. Blaine nahm den Becher und nippte an dem dampfenden Inhalt. Er schmeckte die Süße der Melasse und des Honigs und fühlte sich irgendwie beruhigt.
»Ich bekam vor ein paar Stunden ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Um dreizehn Jahre verspätet.«
Wareagle setzte sich wieder und lehnte sich zurück. Sein Ponyschwanz aus pechschwarzem Haar fiel über die Stuhllehne. Er sagte nichts.
»Ich habe einen Sohn, Johnny. Er ist zwölf Jahre alt, seine Mutter ist tot, er lebt in einem Internat in England und weiß nicht einmal, daß es mich gibt.« Blaine sprudelten die Worte nur so über die Lippen, als vereinfache es die Sache, die Geschichte schnell hinter sich zu bringen.
Wareagle saß ihm einfach gegenüber. Hinter den Fenstern war die Dämmerung gekommen und wieder gegangen, doch der Tag versprach, grau und bewölkt zu werden.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht einmal darüber nachdenken, weil es mir angst macht.« Blaine zwang sich zu einem Lachen. »Hör dir das an. Was haben wir alles gemeinsam durchgemacht … Und nach all dem macht mir diese Enthüllung angst.«
»Das Unbekannte birgt für uns alle die erschreckendsten Aussichten, Blainey.«
»Du weißt, was ich meine, Indianer.«
»Und ich weiß, wie dein Problem aussieht: Entweder, du fliegst nach England, oder du fliegst nicht.«
»Auf den bloßen Kern reduziert, sagt das tatsächlich alles.«
»Das ganze Leben läßt sich auf solche Begriffe reduzieren, Blainey. Wir erschweren uns das Leben, indem wir zusätzliche Wahlmöglichkeiten schaffen, die unsere Entscheidungen lediglich verwirren. Du sprichst von dem, was wir erreicht haben, auch oft gemeinsam. In jenen Situationen hat uns das Leben aller Wahlmöglichkeiten entkleidet und uns nur Taten übriggelassen. Wir haben überlebt, weil uns das Nachdenken erspart blieb. Wir konnten die Worte der Geister hören, weil nichts in unseren Köpfen war, was sich ihnen in den Weg gestellt hätte.« Wareagle rückte seinen Stuhl näher an den McCrackens heran. »Im Höllenfeuer haben wir auf körperliche Komplikationen augenblicklich und ohne das geringste Zögern reagiert. Das hat uns am Leben gehalten. Moralischen Komplikationen muß man genauso begegnen.«
»Das beantwortet meine Frage nicht.«
»Du hast keine gestellt.«
»Dann möchte ich sie so einfach stellen, wie es mir möglich ist: Soll ich in das Leben des Jungen treten oder mich lieber heraushalten?«
Der Indianer lehnte sich zurück und nippte an seinem Tee. »Was habe ich gerade getan, als du kamst?«
»Du hast draußen Holz gehackt.«
»Wann brauche ich das Holz?«
»Im Winter.«
»Und jetzt haben wir gerade Mai. Es kommt nur darauf an, sich auf das vorzubereiten, was vor einem liegt. Solche Vorbereitungen stellen die beste Möglichkeit dar, Komplikationen zu vermeiden. Doch was, wenn die Jahreszeiten durcheinander geraten? Wenn der Winter schon morgen käme? Dann würde mein Holzstapel jämmerlich unzureichend sein. Würde ich erfrieren?«
»Du würdest einen Ausweg finden. Du würdest überleben.«
»Selbst, wenn ich lebensnotwendige Vorbereitungen nicht abgeschlossen habe?«
»Der erste kalte Wind würde dich warnen. Schnee im Mai würde dir eine ziemlich gute Vorstellung geben, daß die Dinge gewaltig durcheinandergeraten sind.«
»Und was würde ich tun?«
»Du würdest das Holz in die Hütte tragen, dafür sorgen, daß
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