Die Gartenparty
Hand behalten. Jetzt stülpte er ihn achtlos auf den kahl werdenden Schädel und ging ums Haus herum auf die Straße, und quer über die Straße zu seinem Wagen. Er hörte, wie Nancy wütend die Hintertür zuwarf. Sie hat mich noch nicht mal hereingebeten, dachte er. Er stieg in den Wagen und fuhr in die Stadt.
Dr. Jack Richmonds Praxis lag im neuen Medizinerblock, einem nüchternen, einstöckigen Bau aus Glas und grünen Ziegeln, mit einem Vorgarten, dessen Rasen so üppig war, daß er künstlich wirkte. Master? trottete durch die Halle, an der blitzblanken Apotheke vorbei, und einen langen, steril wirkenden Korridor entlang bis zu einer Holztür, auf der in verchromten Buchstaben >John R. Richmond, M.D.< geschrieben stand. Masters trat ein.
Das Wartezimmer war leer.
»Dr. Richmond ist nicht da«, sagte die Sprechstundenhilfe in ihrem Glaskasten. »Sind Sie bestellt?«
»Ich bin kein Patient«, sagte Masters. Er öffnete das Etui mit seiner Marke, und ihre Augen wurden schmal. »Wo ist er?«
»Um diese Zeit ist er sonst immer vom Krankenhaus zurück«, sagte die Sprechstundenhilfe. »Aber er hat angerufen, daß er einen dringenden Fall hat und nicht weiß, wann er kommen kann.«
»Einen dringenden Fall? Im Krankenhaus?«
»Das weiß ich wirklich nicht.«
»Hören Sie, Schwester«, sagte Masters geduldig. »Jede Sprechstundenhilfe weiß stets genau, wo sich ihr Chef zur Zeit befindet. Also: ist er im Krankenhaus?«
»Ich glaube ja.« Sie hatte Angst. »Ja.«
Masters fuhr ins Krankenhaus. Dr. Richmond operierte. Appendektomie. Er mußte warten.
Masters fluchte verhalten. Er stand herum. Er las die Krankenhausordnung. Er betrachtete eingehend einen großen Druck, auf dem sich eine Gruppe weißbekittelter Männer über einen nackten Mann auf einem rohen Küchentisch beugen. Das Bild hieß >Die Chirurgen<. Er blätterte in ein paar Illustrierten.
Plötzlich konnte er das Warten nicht länger ertragen. Mit schnellen Schritten ging er zum Lift. Einer war gerade da; die Tür stand offen. Er trat hinein und preßte den Finger auf den Knopf zur fünften Etage. Im Schneckentempo schloß sich die Tür. Der Aufstieg zum obersten Stock dauerte Ewigkeiten.
Dann bezog Leutnant Masters vor den großen Doppeltüren des Operationssaals Posten.
Mit dem Rücken zur Wand.
Symbolisch.
17
Zuerst Lila, dachte Nancy, und jetzt Vera.
Hörte das denn nie mehr auf, daß Leute aus Shady Acres verschwanden? Ein unheimliches Gefühl.
Es war natürlich Unsinn zu denken, daß Vera >verschwunden< sei. Sie war einfach ausgegangen. Vermutlich kaufte sie gerade jetzt bei Logan oder im Supermarkt ein oder war beim Friseur. Es gab massenhaft Orte, wo sie sein konnte. Ganz sicher war es einfach dumm, sich um sie Gedanken zu machen. Daran war nur dieser verdammte Leutnant Masters schuld. Jedesmal, wenn er auftauchte, brachte er eine unheilschwangere Atmosphäre mit. Vera war ganz sicher wohlauf.
Trotzdem ertappte sich Nancy in der ersten Stunde nach Masters’ Abgang immer wieder dabei, daß sie zum Richmondschen Haus hinüberblickte. Keine Spur von Vera. Aber man konnte wohl kaum erwarten, daß sie auf die Terrasse herauskam, um zu zeigen, daß sie wieder da war. Sie war vielleicht längst zu Hause. In diesem Fall mußte ihr Volkswagen, den sie fuhr, wenn Jack die Corvette mitgenommen hatte, in der Einfahrt stehen.
Nancy ging ins Wohnzimmer und spähte aus dem Fenster.
Der Volkswagen stand weder in der Einfahrt noch auf der Straße.
Natürlich, Vera konnte ihn in die Garage gefahren haben. Aber Grübeln hilft nichts, sagte sich Nancy. Das einfachste wäre, Vera unter irgendeinem Vorwand anzurufen, um zu sehen, ob sie wohlauf war.
Nancy ging ans Telefon im Flur und wählte die Nummer der Richmonds.
Sie ließ es achtmal klingeln; niemand meldete sich. Nancy legte wieder auf.
Vera war eben nicht zu Hause. Aber warum war denn da diese hartnäckige, kleine Stimme, die Nancy immer wieder sagte, daß sie doch zu Hause sei?
Vielleicht hatte Vera ihre Gründe, warum sie nicht ans Telefon und an die Haustür ging. Nein, das war unwahrscheinlich. Als gute Arztfrau wußte Vera, daß jeder Anruf wichtig sein konnte…
Nancys Unruhe wurde langsam zu Angst. Ganz gleich, wie unvernünftig, wie absurd dieses Gefühl war, es war einfach unerträglich geworden. Sie mußte entweder dagegen angehen, und das konnte sie nicht, oder etwas unternehmen.
Zunächst einmal lief Nancy über die Straße zu der ans Haus grenzenden Garage der Richmonds.
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