Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Gefühl, die Häuser würden über ihm zusammenstürzen. Seine Hände fummelten am Aschenbecher herum. Er war in ärztlicher Behandlung. Er las viel. Die Leute in der Bar schienen ihn alle zu kennen.
Die Zwillinge waren in Virginia, abgeschieden bei ihrer Großmutter, incommunicado. Camilla schickte mir in diesem Sommer drei Postkarten und rief zweimal an. Im Oktober, als ich wieder in der Schule war, schrieb sie mir dann, Charles habe aufgehört zu trinken, habe seit über einem Monat keinen Tropfen mehr zu sich genommen. Eine Weihnachtskarte kam. Im Februar dann eine Karte zu meinem Geburtstag – auf der Neuigkeiten über Charles auffällig abwesend waren. Und dann, danach, lange Zeit gar nichts.
Um die Zeit meines Abschlußexamens kam es zu einer sporadischen Erneuerung unserer Korrespondenz. »Wer hätte gedacht«, schrieb Francis, »daß Du der einzige von uns sein würdest, der mit einem Diplom davonkommt?« Camilla schickte Glückwünsche und rief auch zweimal an. Beide sprachen davon, nach Hampden heraufzukommen und mit mir zusammen auf der Abschlußfeier den Mittelgang hinaufzugehen, aber es kam nicht dazu, und ich war darüber nicht besonders überrascht.
Seit meinem Hauptstudium hatte ich angefangen, mit Sophie Dearbold zu gehen, und im letzten Semester zog ich zu ihr in ein Apartment außerhalb des Campus: in der Water Street, nur wenige Häuser weit von Henrys Wohnung entfernt, wo seine »Madame Isaac Pereire« – Rosen im Garten wild wucherten (er hat sie nie blühen sehen, fällt mir jetzt ein, diese Rosen mit dem Duft von Himbeeren) und wo der Boxerhund, einsamer Überlebender seiner
chemischen Experimente, herausgelaufen kam und mich anbellte, wenn ich vorbeiging. Nach der Schule bekam Sophie einen Job bei einer Tanztruppe in Los Angeles. Wir dachten, wir liebten uns. Vom Heiraten war die Rede. Obgleich alles in meinem Unterbewußtsein mich davor warnte (ich träumte von Unfällen, Autobahn-Heckenschützen, den glühenden Augen wilder Hunde auf vorstädtischen Parkplätzen), beschränkte ich meine Bewerbung um Graduiertenstipendien auf Universitäten in Südkalifornien.
Wir waren keine sechs Monate dort, als Sophie und ich uns trennten. Ich sei zu verschlossen, sagte sie. Sie wisse nie, was ich gerade dächte. Und wie ich sie manchmal anschaute, wenn ich morgens aufwachte, das mache ihr angst.
Ich verbrachte all meine Zeit in der Bibliothek und las die Dramatiker aus der Zeit von James I. Webster und Middleton. Tourneur und Ford. Es war eine obskure Spezialisierung, aber das von Kerzenlicht und Verrat beherrschte Universum, in dem sie sich bewegten - ein Universum der straflosen Sünde und der zerstörten Unschuld -, war eines, das mich ansprach. Schon die Titel ihrer Stücke waren seltsam verführerisch, Falltüren zu etwas Schönem und Bösem, das unter der Oberfläche der Sterblichkeit dahinrinnt: Der Unzufriedene. Der weiße Teufel. Das gebrochene Herz. Ich brütete über ihnen, schrieb Notizen an den Rand. Die Jakobäer hatten ein sicheres Gefühl für die Katastrophe. Sie verstanden nicht nur das Böse, wie es schien, sondern auch die extravaganten Tricks, mit denen sich das Böse als gut präsentiert. Ich fand, sie schnitten glatt hindurch bis zum Herzen der Dinge, bis zum verrotteten Wesen der Welt.
Christopher Marlowe hatte ich immer schon geliebt, und es ergab sich, daß ich auch über ihn oft nachdachte. »Der gütige Kit Marlowe«, so hatte ein Zeitgenosse ihn genannt. Er war ein Gelehrter, befreundet mit Taleigh und Nashe, den brillantesten und gebildetsten Köpfen an der Universität von Cambridge. Er verkehrte in den erhabensten literarischen und politischen Kreisen; unter allen Dichterkollegen war er der einzige, auf den Shakespeare jemals direkt anspielte. Und doch war er zugleich ein Fälscher, ein Mörder, ein Mann, der sich mit den verkommensten Kumpanen und Gewohnheiten abgab und der mit neunundzwanzig Jahren in einer Schenke »fluchend starb«. Seine Kameraden an diesem Tag waren ein Spitzel, ein Taschendieb und ein »liederlicher Dienstmann«. Einer von ihnen stach mit dem Messer nach
Marlowe und traf ihn tödlich, dicht über dem Auge, »an welcher Verletzung besagter Christ. Marlowe auf der Stelle verstarb«.
Ich dachte oft an eine Stelle aus seinem Doctor Faustus:
Mein Herr, so denk’ ich, will wohl sterben bald,
Denn er hat mir gegeben all sein Gut ...
Und auch an diese, die beiseite gesprochen wird, als Faustus vor dem Kaiserlichen Gericht
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