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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Fakten, die oftmals erstaunlich irrelevant waren und gar nicht zum Kontext gehörten, Fakten, an die er sich zufällig vom Unterrichtsgespräch her erinnerte oder die er irgendwo gelesen zu haben glaubte. Wenn es Zeit war, seine Arbeit zu schreiben, ergänzte er diese zweifelhaften Fragmente dadurch, daß er Henry (den er gewohnheitsmäßig wie einen Atlas konsultierte) ins Kreuzverhör nahm. Oder er unterfütterte das Ganze mit Informationen aus der Enzyklopädie der Weltliteratur oder aus einem Nachschlagewerk mit dem Titel Männer des Geistes und der Tat, einem sechsbändigen Werk voller prunkvoller Kupferstiche von Hochw. E. Tipton Chatsford aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, das kurze Porträtskizzen großer Männer aus allen Zeiten enthielt und für Kinder geschrieben war.
    Alles, was Bunny schrieb, war notgedrungen erstaunlich originell, weil es auf so wunderlichen Quellen fußte und er es fertigbrachte, das Ganze in seiner hilflosen Art noch weiter zu verballhornen, aber die John-Donne-Arbeit muß die schlechteste aller schlechten Seminararbeiten gewesen sein, die er je geschrieben
hatte (und das Ironische daran war, daß sie das einzige war, was je gedruckt wurde. Als er verschwunden war, fragte ein Journalist nach Auszügen aus den Arbeiten des vermißten jungen Studenten, und Marion gab ihm eine Kopie davon und ein sorgfältig redigierter Absatz daraus gelangte schließlich in die Zeitschrift People ).
    Irgendwo hatte Bunny erfahren, daß John Donne mit Izaak Walton bekannt gewesen war, und in irgendeinem schummrigen Winkel seines Gehirns wurde diese Freundschaft größer und immer größer, bis die beiden Männer in seinem Kopf praktisch austauschbar waren. Wir haben nie begriffen, wie diese fatale Verbindung hatte zustande kommen können; Henry machte Männer des Geistes und der Tat dafür verantwortlich, aber sicher wußte es niemand. Eine oder zwei Wochen vor dem Abgabetermin fing Bunny an, gegen zwei oder drei Uhr morgens in meinem Zimmer aufzutauchen. Dann sah er aus, als sei er gerade mit knapper Not einer Naturkatastrophe entronnen; sein Schlips hing schief, und er rollte wild mit den Augen. »Hallo, hallo«, sagte er, trat ein und fuhr sich mit beiden Händen durch das zerzauste Haar. »Hab’ dich hoffentlich nicht geweckt, stört dich doch nicht, wenn ich das Licht anmache, nicht, ah, also dann, ja ja ...« Und er knipste das Licht an und schritt eine Zeitlang auf und ab, ohne den Mantel auszuziehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, kopfschüttelnd. Endlich blieb er wie angewurzelt stehen und sagte mit einem verzweifelten Ausdruck im Blick: »Metahemeralismus. Erzähl mir davon. Alles, was du weißt. Ich muß etwas über Metahemeralismus wissen.«
    »Tut mir leid. Ich weiß nicht, was das ist.«
    »Ich auch nicht«, sagte Bunny dann mit brechender Stimme. »Muß was mit Malerei oder Pastoralismus oder so zu tun haben. Das ist meine Verbindung zwischen John Donne und Izaak Walton, verstehst du.« Und er fuhr fort, auf und ab zu gehen. »Donne. Walton. Metahemeralismus. Das ist das Problem, wie ich es sehe.«
    »Bunny, ich glaube, ›Metahemeralismus‹ ist nicht mal ein Wort.«
    »Na klar ist es eins. Kommt aus dem Lateinischen. Hat was mit Ironie und Pastoralkunst zu tun. Ja, das ist es. Malerei, Bildhauerei, so was vielleicht.«
    »Steht’s im Lexikon?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie man es schreibt. Ich meine« - und er formte mit beiden Händen einen Bilderrahmen – »der Dichter und der Fischer. Parfait. Muntere Kameraden. Draußen in
freier Natur. Das gute Leben. Metahemeralismus ist das Bindeglied, verstehst du?«
    Und so ging es manchmal eine halbe Stunde lang oder länger, und Bunny faselte von Fischersleuten und Sonetten und weiß der Himmel wovon noch, bis er in der Mitte seines Monologs plötzlich eine brillante Idee hatte und ebenso plötzlich davonrauschte, wie er bei mir eingefallen war.
    Er hatte das Papier vier Tage vor dem Abgabetermin fertig, und dann lief er damit herum und zeigte es allen.
    »Das ist eine schöne Arbeit, Bun ...«, sagte Charles vorsichtig.
    »Dank, danke.«
    »Aber findest du nicht, daß du John Donne ein bißchen öfter erwähnen solltest? War das nicht dein Thema?«
    »Ach, Donne«, sagte Bunny abschätzig. »Den will ich da nicht reinziehen.«
    Henry weigerte sich, die Arbeit zu lesen. »Ich bin sicher, es ist zu hoch für mich, wirklich«, sagte er nach einem kurzen Blick auf die erste Seite. »Sag mal, was ist denn

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