Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Pläne?« Er lachte. »Was hast du für die nächsten vierzig, fünfzig Jahre deines Lebens vor?«
Draußen auf dem Rasen hatte Bunny eben Henrys Kugel ungefähr zwanzig Meter weit ins Aus geschlagen. Lachen hallte fetzenhaft herüber; schwach, aber klar wehte es durch die Abendluft. Dieses Lachen sucht mich heute noch heim.
DRITTES KAPITEL
Vom ersten Augenblick in Hampden an hatte ich das Ende des Semesters gefürchtet, denn dann müßte ich zurück nach Plano, zu plattem Land und Tankstellen und Staub. Als das Semester verstrich, der Schnee tiefer, die Morgenstunden dunkler wurden und jeder Tag mich dem Datum auf dem verschmierten hektographierten Zettel (»17. Dezember – Abgabetermin für alle Abschlußarbeiten!«), der mit Klebstreifen innen an meiner Schranktür befestigt war, näher brachte, verwandelte sich meine Melancholie allmählich in etwas wie Schrecken. Ich glaubte nicht, daß ich das Weihnachtsfest zu Hause aushalten würde, mit dem Plastikbaum und ohne Schnee und dem Fernseher, der dauernd lief. Es war auch nicht so, als hätten meine Eltern darauf gebrannt, mich bei sich zu haben. In den letzten Jahren hatten sie sich mit einem älteren, schwatzhaften, kinderlosen Ehepaar angefreundet: mit den Mac-Natts. Mr. MacNatt verkaufte Autoersatzteile; seine Frau hatte die Gestalt einer Traube und war Avon-Beraterin. Sie hatten meine Eltern zu mancherlei gebracht: Sie unternahmen Busfahrten zu Fabrikdirektverkaufsstellen, spielten ein Würfelspiel namens »Bunko« und saßen in der Pianobar im Ramada Inn herum. Diese Aktivitäten verstärkten sich an Feiertagen beträchtlich, und meine Anwesenheit, so kurz sie auch sein mochte, betrachtete man als hinderlich, als fast so etwas wie eine Art Tadel.
Aber die Feiertage waren nur das halbe Problem. Weil Hampden so hoch im Norden lag, und weil die Gebäude alt und nur mit hohem Kostenaufwand zu heizen waren, wurde die Schule im Januar und Februar geschlossen. Ich hörte jetzt schon, wie mein Vater sich bierschwer bei Mr. MacNatt über mich beklagte und wie dieser ihn raffiniert anstachelte, indem er beiläufig andeutete, ich sei verwöhnt, und er würde keinem Sohn erlauben, ihm auf der Nase herumzutanzen, wenn er einen hätte. Das würde meinen Vater zur Raserei bringen, und irgendwann käme er dann dramatisch in mein Zimmer geplatzt, um mich mit zitterndem Zeigefinger
hinauszuwerfen, wobei er die Augen rollte wie Othello. Das hatte er ein paarmal gemacht, als ich in Kalifornien zur High School und aufs College gegangen war, eigentlich nur aus einem einzigen Grund, nämlich um seine Autorität vor meiner Mutter und seinen Mitarbeitern zu demonstrieren. Ich durfte immer wieder zurückkommen, wenn er genug Aufmerksamkeit erregt hatte und wenn er meiner Mutter erlaubt hatte, ihn »zur Vernunft zu bringen«. Aber wie würde es jetzt werden? Ich hatte ja nicht mal mehr ein eigenes Zimmer; im Oktober hatte meine Mutter geschrieben, sie habe die Möbel verkauft und ein Nähzimmer daraus gemacht.
Henry und Bunny fuhren in den Winterferien nach Italien, nach Rom. Ich war überrascht, als Bunny dies Anfang Dezember bekanntmachte, zumal zwischen beiden seit über einem Monat Verstimmung herrschte – vor allem, was Henry anging. Ich wußte, daß Bunny ihn in den letzten Wochen massiv um Geld angegangen hatte, und obwohl Henry sich darüber beschwerte, war er anscheinend seltsam unfähig, es ihm abzuschlagen. Ich war ziemlich sicher, daß es nicht ums Geld an sich ging, sondern ums Prinzip. Ich war außerdem ziemlich sicher, daß Bunny von solchen Spannungen, soweit sie existierten, gar nichts merkte.
Bunny redete von nichts anderem als von dieser Reise. Er kaufte sich Kleider, Reiseführer, eine Schallplatte mit dem Titel Parliamo Italiano, die dem Hörer in allerhöchstens zwei Wochen Italienisch beizubringen verhieß (»Sogar denen, die mit anderen Sprachkursen nie Glück gehabt haben!« prahlte ein Slogan auf der Hülle), und eine Ausgabe von Dorothy Sayers’ Übersetzung des Inferno. Er wußte, daß ich in den Winterferien nirgends hinfahren konnte, und rieb mir genüßlich Salz in die Wunde. »Ich werde an dich denken, wenn ich Campari trinke und Gondel fahre«, versprach er augenzwinkernd. Henry hatte über die Reise wenig zu sagen. Während Bunny plapperte, saß er da, rauchte mit tiefen, entschlossenen Zügen und tat, als verstehe er Bunnys törichtes Italienisch nicht.
Francis meinte, er werde mich mit Vergnügen über Weihnachten mit nach Boston nehmen
Weitere Kostenlose Bücher