Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
mit der Schreibmaschine passiert?«
»Ich hab’s dreizeilig geschrieben«, erklärte Bunny stolz.«Sieht irgendwie aus wie freie Lyrik, nicht?«
Henry gab einen komischen kleinen Nasenschnaufer von sich. »Sieht irgendwie aus wie eine Speisekarte«, sagte er.
Ich erinnere mich nur noch an den letzten Satz der Arbeit; er lautete: »Und so verlassen wir Donne und Walton an den Gestaden des Metahemeralismus und entbieten ihnen ein liebevolles Lebewohl, diesen berühmten Kameraden aus alter Zeit.« Wir fragten uns, ob er durchfallen würde. Aber Bunny machte sich keine Sorgen; die bevorstehende Reise nach Italien, die inzwischen so nah gerückt war, daß der Schiefe Turm von Pisa nachts seinen dunklen Schatten über sein Bett warf, hatte ihn in einen Zustand höchster Aufregung versetzt, und er war froh, als er endlich Hampden verlassen konnte, um seine familiären Verpflichtungen hinter sich zu bringen, bevor es auf die große Reise ging.
Henry verschwand schnell und in aller Stille. Am Abend sagte er uns, daß er abreise, und am nächsten Morgen war er weg. (Nach St. Louis? Oder schon nach Italien? Keiner von uns wußte es.) Francis fuhr einen Tag später, und es kam zu einer umständlichen und ausgedehnten Abschiedsszene – Charles, Camilla und ich standen am Straßenrand mit roten Nasen und halberfrorenen Ohren, und Francis brüllte durch das heruntergedrehte Fenster, während der
Motor lief und der Mustang von dicken weißen Rauchwolken umweht wurde – und das Ganze sicher eine gute Dreiviertelstunde lang.
Vielleicht, weil sie als letzte fuhren, fiel mir der Abschied von den Zwillingen am schwersten. Als Francis’ Hupe in der verschneiten, echolosen Ferne verhallt war, gingen wir auf dem Weg durch den Wald zurück zu ihrem Haus, ohne viel zu reden. Als Charles das Licht einschaltete, sah ich, daß die Wohnung herzzerreißend ordentlich und aufgeräumt aussah – das Spülbecken leer, die Böden gebohnert, eine Reihe Koffer an der Tür.
Die Mensa hatte an diesem Mittag geschlossen; es schneite heftig und wurde dunkel, und wir hatten kein Auto. Der Kühlschrank, frisch ausgewaschen, roch nach Lysol und war leer. Wir saßen am Küchentisch und verzehrten ein trauriges Behelfsessen aus Dosenpilzen, Salzcrackern und Tee ohne Zucker oder Milch. Hauptgesprächsthema war Charles’ und Camillas Reiseplan – wie sie mit dem Gepäck zurechtkommen würden, um welche Zeit sie das Taxi rufen sollten, um den Zug um sechs Uhr dreißig zu erwischen. Ich beteiligte mich an diesen Reisegesprächen, aber eine tiefe Melancholie, die viele Wochen lang nicht vergehen sollte, hatte bereits begonnen, sich auf mich herabzusenken. Das Geräusch von Francis’ Wagen, der immer kleiner wurde und schließlich in der Ferne verschwand, klang mir noch in den Ohren, und zum erstenmal erkannte ich jetzt, wie einsam die nächsten zwei Monate wirklich werden würden – jetzt, da die Schule geschlossen, der Schnee tief und jedermann weg war.
Charles und Camilla meinten, ich brauchte mir nicht die Mühe zu machen, ihnen am nächsten Morgen noch adieu zu sagen, da sie so früh aufbrechen müßten, aber um fünf war ich trotzdem wieder da, um mich von ihnen zu verabschieden. Es war ein klarer, dunkler Morgen; der Himmel war sternenübersät und das Thermometer auf der Veranda des Commons war auf fast minus zwanzig Grad gefallen. Das Taxi wartete schon mit laufendem Motor in einer Wolke von Auspuffgasen vor der Haustür. Der Fahrer hatte eben den Deckel über dem vollen Kofferraum zugeschlagen, und Charles und Camilla schlossen die Haustür ab. Sie waren zu besorgt und beschäftigt, um sich über meine Anwesenheit besonders zu freuen. Das Reisen machte die beiden nervös: Ihre Eltern waren auf einem Wochenendtrip hinauf nach Washington bei einem Autounfall umgekommen, und sie waren tagelang angespannt, wenn sie selbst irgendwohin fahren mußten.
Allmählich wurde auch die Zeit knapp. Charles stellte seinen Koffer hin und gab mir die Hand. »Frohe Weihnachten, Richard. Du schreibst doch, oder?« sagte er und rannte dann den Weg hinunter zum Taxi. Camilla plagte sich mit zwei gewaltigen Reisetaschen ab; schließlich ließ sie sie beide in den Schnee fallen und sagte: »Verdammt, niemals kriegen wir all dieses Gepäck in den Zug.«
Sie atmete schwer, und dunkelrote runde Flecken brannten hoch auf ihren hellen Wangen; in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie jemanden gesehen, der so nervenzerreißend schön war wie sie in diesem
Weitere Kostenlose Bücher