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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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klapperte, während er in dem unsichtbaren großen Schrank herumstöberte. Dann herrschte Schweigen, und als Anael wieder auftauchte, wirkte er sehr zufrieden mit sich. Nachdem sich die Ringe in der Schale beruhigt hatten, kam ein mit Girlanden reich geschmückter Saal zum Vorschein, der von Menschen in festlichen Gewändern wimmelte. Wer war die buntgekleidete große Frau am Kopfende des Tisches, die vor Freude strahlte? Ihr Tischnachbar war ein verschrumpelter kleiner Mann in der Robe und mit dem Hut eines Abbé. Ja, das war doch…
    »Ei, eine Hochzeit«, sagte Nostradamus und spähte ins Wasser. »Es muß ziemlich genau unsere Zeit sein. Die Musik kommt mir bekannt vor – ein branle. Ich spüre, wie meine Zehen den Takt mitklopfen. Hast du gewußt, daß ich in jungen Jahren ein guter Tänzer war?«
    »Ich tanze auch sehr gern.«
    »Geister tanzen?«
    »Ja, aber nicht oft. Wir müssen vorsichtig sein. Denn dabei gerät das Universum ins Wanken.«
    »Oh, sieh doch, da ist die Braut. Du meine Güte, so heiratet dieses knochige Mädchen, diese Sibille, zu guter Letzt doch noch. Ja. Und Nicolas, wie es sein sollte.«
    »Der Bursche, der ihre Mitte umfaßt, scheint es nicht zu bemerken.«
    »Tut man nie, wenn man verliebt ist. Sag, was ist aus Menander dem Unsterblichen geworden?«
    »Wenn ich dir das zeigen soll, mußt du aufhören, mit dem Fuß zu klopfen«, sagte Anael.
    »Ich klopfe gar nicht.« Der alte Doktor besann sich jäh auf seine Würde.
    »Einerlei, aber sieh dir das an…«
    Nostradamus blickte in die Schale, wurde aber nicht schlau aus der Szene. Dorfleute im Sonntagsstaat, ein Festtag, irgendeine Zusammenkunft. Aha, eine Kirmes – er hörte die Rufe einer Frau, die mit einem Tablett durch die Menge ging und Fleischküchlein feilhielt. Oh, ein Tanzbär. Wie niedlich, dachte er, aber was hat das mit Menander zu tun?
    Jetzt drängten sich vier Mönche, die auf Stangen einen großen Holzkasten trugen, durch die Menge. »Tut Buße! Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe!« rief der Mönch, der vor ihnen herging, und läutete ein Glöckchen.
    »Betrachtet die Reliquie!« schrien die Mönche, die den Kasten trugen. »Betrachtet die heilige Reliquie; nur eine kleine Gabe, und ihr dürft den Kasten küssen.« Ehe sie noch das schäbige kleine Rundzelt betreten und die Zeltklappe geschlossen hatten, umdrängten die Menschen bereits den Kasten, versuchten, ihn zu berühren, ihn zu küssen.
    Vor dem Zelteingang hatte sich eine Schlange gebildet. Bauern im Sonntagsstaat, Krüppel, Frauen in Holzschuhen, manche hielten kranke Kinder auf dem Arm. Ein Mönch mit einem Opferstock sammelte emsig Spenden ein. »Der Kopf Johannes' des Täufers, der eine, der echte, der einzige… Alle anderen sind falsch«, rief er.
    »Anael«, flüsterte Nostradamus, »die sehen mir ganz und gar nicht wie Mönche aus. Der eine da, ich könnte schwören, daß er ein Brandmal auf der Hand hat. Sieh nur, es ist übermalt.«
    Im Zelt, oben auf der hölzernen Arche, in der man ihn getragen hatte, stand ein verbeulter, angelaufener versilberter Kasten weit offen und wurde von jeder Seite mit einer Kerze beleuchtet.
    »Ich habe schon Besseres auf dem Rathausplatz aufgespießt gesehen«, knurrte ein Riese mit Holzschuhen. »Woher soll ich wissen, daß das hier nicht einfach der Kopf eines Verbrechers ist?«
    »Er lebt«, entgegnete der wachhabende Mönch. Und bei diesen Worten zuckten die Lider, und der mumifizierte Kopf stöhnte. Entsetzt fuhr die Menge im Zelt zurück.
    »Warum redet er nicht?«
    »Der unsterbliche Kopf Johannes' des Täufers ist in heilige Gedanken versunken. Tretet näher, gute Leute, er segnet, er heilt, er erhebt… Und gebt es an all eure Freunde weiter.«
    »Anael«, sagte Nostradamus, »hast du gewußt, daß dieser Mann zu Lebzeiten seine eigene Religion gegründet hätte? Und jetzt sieh ihn dir an…«
    »Johannes der Täufer auch…«
    »Das ist etwas ganz anderes, und das weißt du«, fuhr ihn der alte Doktor an.
    »Ich kann gehen, ich kann gehen!« rief ein Mann und warf seine Krücken beiseite.
    Vor dem Zelt schrie der Mann, der Geld einsammelte: »Ein Wunder! Ein Wunder! Schnell, schnell hinein. Er segnet euch! Er heilt!« Im Zelt wurden die Krücken zur Schau gestellt. Etwas weiter hinten kassierte der so wundersam geheilte Mann seinen Lohn bei einem der Mönche.
    »Und bei alldem kein Sterbenswörtchen von Menander. Sie muß es geschafft und einen unmöglich zu erfüllenden Wunsch geäußert haben.«

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