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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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machen, aber es liegt in Eurer Macht, Kommendes abzuwenden. Kehrt heim, sage ich.« Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Angenommen, er redete nicht irre? Angenommen, er war ein Spitzel? Hatte er irgendwie den Grund für meine übereilte Flucht vom elterlichen Gut herausgefunden? Ich erhob mich jäh – allzu jäh –, wollte vor ihm fliehen, stieß jedoch den Becher um und verschüttete die Neige des Apfelweins auf den Saum meines Trauerkleides. Hastig bückte ich mich, um die Tropfen von der dunklen Wolle wegzuwischen und den Becher aus dem Staub zu heben. Mir war, als hörte ich ihn stillvergnügt lachen.
    So wie die Spitzel, ehe sie zum bailli gehen, dachte ich. Sie lachen über ihre Opfer. Wirklich, es war nicht meine Schuld, daß ich Thibauld Villasse erschossen habe. Zugegeben, ich kannte sein Gesicht sehr wohl, schließlich war ich endlose Monate mit ihm verlobt gewesen, aber man bedenke, es war dunkel, und er war maskiert. Außerdem haben meine poetischen Bestrebungen und dazu noch feine Stickarbeiten kürzlich eine gewisse Kurzsichtigkeit bei mir bewirkt. Was hätte ich denn anderes tun sollen?
    Ich muß jedoch gestehen, daß ich flüchtig Gewissensbisse verspürte, als sich der Rauch verzogen hatte und ich merkte, daß das Gesicht an der Fensterbank verschwunden war. Was für ein schrecklicher Sturz, o weh, hinunter auf den mondbeschienenen Hof, und das mir, die ich von Natur aus so ungemein zartbesaitet bin. Ei, ich kann nicht einmal einen Vogel aus dem Nest fallen sehen, ohne ihn wieder hineinzuheben. Außerdem trug ich Trauer um ihn, was der Welt zeigte, daß mir das Ganze leid tat. Es war eindeutig nicht ich, die Vaters arquebuse abgefeuert hatte, sondern die Hand des Schicksals. Und Schicksal kann man nicht ungeschehen machen.
    Genau das sagte ich auch dem alten Doktor: »Man kann das Schicksal nicht ändern.«
    »Demoiselle, ich habe diese ganze lange, ermüdende Reise nur unternommen, weil ich das Schicksal ändern will, und dem Reich zuliebe flehe ich Euch an, Ihr müßt heimkehren.«
    »Und mir zuliebe muß ich Weiterreisen. Ändert das Schicksal auf andere Weise.« Das Gesicht des Fremden lief hochrot an, er schnaubte vor Wut.
    »Ihr eingebildete Jungfer, so wisset, daß mich große Könige für einen einzigen guten Rat mit Börsen voller Gold entlohnten.« Ich jedoch bin eine Artaud de la Roque, Beleidigungen vermochten es noch nie, mich umzustimmen. Ich blickte ihn also von oben herab an, eine meiner erfolgreichsten Übungen in Mißachtung, da ich höher gewachsen bin als gewöhnliche Menschen.
    »Dann geht hin und beratet sie. Ich tue, was mir beliebt.« Als ich mich zum Gehen wandte, wirkte er so niedergeschlagen, daß dieser aufgeblasene, alte Schaumschläger beinahe mein Mitleid erregte. Dem Akzent nach ein Mann aus dem Süden. Allesamt Aufschneider, diese Leute aus dem Süden. Der Doktor hier hatte ganz offenkundig zu viele Arzneien eigener Herstellung geschluckt, Könige, daß ich nicht lache.
    »Bleibt, wartet…«, bat er, und ich hielt inne. Er musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle mit abschätzendem Blick. »Dennoch…ja… es könnte klappen. Doch hört auf meine Warnung: Hütet Euch vor der Königin der Schwerter.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon die Rede ist«, entgegnete ich.
    »O doch, das habt Ihr«, sagte er, als ihm sein Diener sein Reittier zuführte. »Damen wie Ihr legen doch ständig tarocchi.« Sein Diener trat herzu, und ich bemerkte, daß er nicht etwa einen Maulesel brachte, was für einen Doktor angemessen wäre, sondern königliche Postpferde. Der seltsame, alte Mann war in Geschäften der Krone unterwegs. O je, also mußte er doch eine bedeutende Persönlichkeit sein. War ich zu unhöflich gewesen? Kannte er mein fürchterliches Geheimnis? Als wollte er meine unausgesprochene Frage beantworten, drehte sich der wunderliche Doktor um, mit einem Fuß bereits im Steigbügel. »Trauer, pah! Ihr solltet Euch schämen.« Mir blieb fast das Herz stehen.
    Die Besitzerin in schlampiger Schürze und Haube ging mit mehreren Bechern ihres ekelhaften Gebräus an mir vorbei. »Gute Frau«, sagte ich (so macht die Höflichkeit allesamt Lügner aus uns), »sagt an, kennt Ihr den Namen jenes ältlichen Burschen mit dem langen Bart und der Doktorrobe?«
    »Von dem da? Aber gewiß doch. Aus der Provence in Geschäften der Königin unterwegs. Sein Diener scheint seinen Namen für sehr bedeutend zu halten. Doktor Michel de Nostredame, ha. Mir sind hier schon vornehmere

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