Die geheime Mission des Nostradamus
Schlafgemaches sagst du? Wie nett, mich darüber zu informieren. Du sollst diesen Raum nicht als armer Mann verlassen. Und verabsäume nicht, mir auch von anderen kleinen Diensten zu berichten, mit denen die Königin dich beauftragt.« Als der Tischler sich unter Bücklingen rückwärts entfernte und Gott und die schöne, gnädige Herzogin pries, da lächelte Diana insgeheim. Auch gut, dachte sie, man muß diese erbärmliche Tochter eines italienischen Kaufmanns daran erinnern, wer hier regiert und warum – und daß sie nicht die allerkleinste Aussicht auf Erfolg hat.
In diesem Teil der Stadt der wäßrigen Straßen waren die Häuser viel höher, zählten drei oder vier Stockwerke und standen aus Platzmangel dicht an dicht, die Zimmer waren niedrig und beengt, die unteren Stockwerke ohne Sonne. Wäsche hing über den schmalen Seitenkanälen, und der faulige Gestank des Wassers vermischte sich mit dem Geruch nach ärmlicher Küche: Knoblauch, Kohl und Zwiebeln. Als der letzte Sonnenstrahl die Fassaden der reichen Palazzi am Canal Grande vergoldete, lagen die Schatten schon dunkel in den schmalen Gassen des Ghettos von Venedig. In einem Zimmer im obersten Stockwerk eines dieser uralten Gebäude durchsuchte ein junger Mann mit glattem braunem Haar gierig die Borde eines großen, geöffneten Schrankes mit geschnitzten Füßen. Hinter ihm öffnete sich leise die Tür, und ein alter Mann trat geräuschlos ein. Er hatte einen langen, weißen Bart, trug ein Scheitelkäppchen und eine knöchellange Robe. Sein Gesicht war tief gefurcht und wies Narben von früheren Verwundungen auf.
»Endlich bist du gekommen. Ich habe dich erwartet.« Der junge Mann fuhr herum und stand mit gezücktem Messer vor ihm.
»Laß das«, sagte der alte Mann und mußte husten. Er drückte ein Tuch an den Mund und zog es blutbefleckt zurück. »Was du suchst, befindet sich in der Truhe unter dem Fenster.« Der junge Mann ging rückwärts zum Fenster, denn er wollte den alten Mann nicht aus den Augen lassen, falls dieser es mit einem Trick versuchen sollte. »Die Sterne haben mir gesagt, daß du heute abend kommst«, hauchte der Alte. Über sein Gesicht huschte ein schmales, ironisches Lächeln. Sterne, dachte der Jüngere. Das muß ein Trick sein, irgendein Zaubertrick. Erneut mißtrauisch geworden, blickte er sich im Zimmer um. Es war vollgestellt mit fremdartigen Gegenständen: ein Astrolabium, eine Armillarsphäre, Instrumente aus Messing und Knochen, von deren Verwendung er keine Vorstellung hatte. Bringen bei einem Pfandleiher doch ein wenig ein, dachte er. Vielleicht sollte ich den alten Kerl umlegen und den ganzen Plunder mitnehmen.
»Laß es«, sagte der alte Mann. »Es gibt in der ganzen Stadt keinen Händler, der nicht mein Zeichen kennt.« Der Jüngere fuhr zusammen. Der widerliche Alte kann ja Gedanken lesen. Gott weiß, welchen Betrug er sich jetzt ausdenkt.
»Keinen Betrug«, sagte dieser. Wieder ein Hustenanfall. »Du kannst alles haben. Los, sag mir, wie du hereingekommen bist?«
»Über das Dach, durch das Fenster. Ihr solltet Eure Fensterläden schließen.« Er schob sich zur Truhe und hob den schweren Deckel vorsichtig mit der freien Hand hoch, denn sein Messer wollte er nicht loslassen.
»Er ist in dem versilberten Kasten, der mit den eingravierten Zeichen und dem Ding im Streitwagen mitten auf dem Deckel«, erläuterte der alte Mann. Der junge Mann mit dem glatten Haar holte den Kasten heraus und musterte ihn erstaunt. »Nimm ihn«, sagte der Alte. »Mir ist damit eine große Last von der Seele.« Jählings setzte er sich auf eine Bank an der Wand, beugte sich vornüber, hustete sich die Seele aus dem Leib und drückte dabei das Tuch an den Mund.
»Er ist… er ist sehr… kostbar. Wie kommt es, daß Ihr ihn so einfach hergebt?« Der Kasten hatte etwas Unheimliches, auch wenn er noch so erlesen gefertigt war. Rührte das vom Deckel mit dem Abbild einer schlangenfüßigen, hahnenköpfigen Gottheit im Streitwagen zwischen Sonne und Mond? Von den darunter eingravierten seltsamen Buchstaben? Von dem schweren Schloß, das aus einem fremdartigen Metall war, das glänzte wie eine Toledaner Schwertklinge?
»Du kannst mir glauben, die Last, die Versuchung, sie haben mich erschöpft und verbraucht. Mit mir ist er jetzt fertig; er hat mich zerstört und weiß, daß ich bald sterbe. Nimm ihn, und das wenige, das mir noch an Leben bleibt, wird zumindest von ihm befreit sein. Bedauern, der vergebliche Versuch einer Wiedergutmachung
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