Die geheime Reise der Mariposa
versuchte die Sullivan Bay anzulaufen. Er kannte die Bucht aus Erzählungen: Sie war ein einziges Feld aus dunklen, übereinandergelegten Stricken schwarzer Lava, die wirkten wie riesige Taue. Wo Gasblasen die oberste Lavaschicht zum Aufplatzen gebracht hatten, gab es Löcher in der Lava: Hornitos, längst erkaltete Gesteinsformen. Sie sahen aus wie Augen. José schüttelte sich unwillkürlich.
»Auf der anderen Seite der Insel gibt es Siedler«, sagte er. »Angeblich. Du wirst jemanden finden, der dir weiterhilft.«
Jonathan antwortete nicht. Und dann drehte der Wind und drückte die Mariposa von Santiago fort.
»Es wäre einfacher, eine der beiden Buchten da drüben anzulaufen«, sagte Jonathan und zeigte zur anderen Seite.
José schnaubte. »Das ist Bartolomé. Eine winzige Insel. Da gibt es keine Menschen. Was willst du dort?«
»Das weißt du genau«, sagte Jonathan. »Und du weißt auch, dass ich dazu keine Menschen brauche. Steure uns nach Bartolomé.«
José seufzte und wendete die Mariposa. Er war inzwischen zu müde, um zu diskutieren. Er musste sich eine Weile auf festem Boden ausstrecken und schlafen. Im Abendlicht glichen die sandigen Zwillingsbuchten von Bartolomé den Flügeln einer Möwe. In ihrer Mitte reckte sich steil eine schwarze Felsspitze in die Höhe wie ein Schnabel.
»Pinnacle Rock«, sagte José laut. Die Amerikaner hatten von diesem Felsen gesprochen, und auch seine Brüder, hinter vorgehaltener Hand. Als wäre der schwarze Stein etwas Lebendiges, etwas Unberechenbares, etwas Gefährliches. José spürte, dass die Abuelita etwas sagen wollte, und verbot ihr den Mund. Er übergab Jonathan noch einmal das Steuer, kletterte nach vorn, um den Anker auszuwerfen und die Segel einzuholen. Trotz der Müdigkeit fühlte sich jeder Handgriff leicht und eingeübt an, als hätte José sein Leben lang nichts anderes getan, als die Mariposa zu segeln. Aber der Schatten von Pinnacle Rock war tief und dunkel, und seine Spitze streifte die honiggelbe Flanke des Schiffs wie eine Drohung.
Das Wasser war hier nicht tief, es ging José nur bis zur Hüfte. Er half Jonathan beim Hinunterklettern und spürte einmal mehr, wie schmächtig er war. »Wenn du ins Meer hinausschwimmst, wie willst du je darin versinken?«, sagte José mit einem unpassenden Lächeln. »Du hast kein Gewicht, dass, dich in die Tiefe zieht.«
»Wir werden sehen«, sagte Jonathan.
Dann wateten sie an Land. Dort blieben sie stehen und sahen sich an, und schließlich streckte Jonathan seine Hand aus. Er schüttelte Josés Hand stumm zum Abschied. José wollte tausend Dinge sagen. Er wusste, dass keines der tausend Dinge Jonathan umstimmen konnte. So legte er sich in den weißen Sand, schloss für einen Moment die Augen und bemühte sich, nicht daran zu glauben, dass dieser Verrückte wirklich versuchen würde zu sterben. Er bemühte sich mit solcher Konzentration, dass er darüber einschlief.
Im Traum segelte er auf der Mariposa über das Meer bis nach London. José wusste, dass es London war, denn am Ufer stand Jonathan und winkte mit einer englischen Flagge. Auf seiner Schulter saß Carmen, die Reisratte, und mitten in der Flagge war ein Loch. »Das hat jemand mit der Pistole hineingeschossen!«, rief Jonathan in Josés Traum vom Ufer aus. »Aber wer? Wem gehört sie?«
Früher hatte Jonathan gedacht, die Inseln wären von Anfang an grün: Man setzte seinen Fuß darauf und befand sich im Urwald, wo Millionen von großen bunten Blüten an den Bäumen wuchsen und ihren süßlichen Duft verströmten. Isabela war nicht von Anfang an grün gewesen. Und auch hier lag nur vertrocknetes, sonnenverbranntes Land hinter dem Strand. Sein eigener Schatten zeichnete sich mit brutaler Schärfe auf dem Boden ab.
Er folgte einem vor langer Zeit ausgetretenen Pfad zwischen niedrigen Büschen hindurch – und trat beinahe auf das Nest eines Blaufußtölpels. Ein Stück weiter sonnte sich eine Schlange auf einem Stein, zwei Eidechsen huschten davon und ein träger gelber Landleguan beäugte Jonathan mit einem Blick voll gutmütiger Langeweile.
»Du hattest recht«, flüsterte Jonathan. »Mama, du hattest recht. Sie lassen sich von einem dummen Menschen nicht stören. Wenn du nur hier wärst und sie sehen könntest! Die Tiere, und auch die Pflanzen. Sie werden höher und grüner, je weiter man sich vom Ufer entfernt …«
Und da beschloss Jonathan, auf den schwarzen Felsen am Rand der Bucht zu steigen, um die Insel von dort aus zu betrachten: als
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