Die geheime Reise der Mariposa
eingestürzte Mauer, und als Jonathan stolperte, streiften Richards Lippen wie zufällig seine Wange. Aber für einen Zufall verharrten sie etwas zu lange dort, pressten sich an ihn …
»Jonathan!«
Er öffnete die Augen. Es waren nicht Richards Lippen, die sich an seine Wange pressten. Es war ein Pinguin. Jonathan lag zusammengerollt auf dem Kajütendach der Mariposa, und Oskar war ihm offenbar gefolgt, um in seiner Halskuhle zu schlafen. Über ihnen stand José und schüttelte den Kopf. »Was tust du hier?«
»Ich … habe geträumt«, sagte Jonathan und setzte sich auf. »Manchmal gehe ich im Traum irgendwohin. Wie in der Nacht, als du mich aus dem Wasser gezogen hast. Da bin ich im Traum über Bord geklettert.«
José nickte langsam. »Jetzt habe ich wenigstens eine Antwort auf meine tausend Fragen.«
»Wenn wir gerade dabei sind, kann ich die anderen auch beantworten«, sagte Jonathan und streichelte Oskar. »Sie sind tot.«
»Wie bitte?«, fragte José.
»Das wolltest du doch wissen. Wo meine Eltern sind. Es war ein Bombenangriff, nachts. Die Stadt hat gebrannt …«
»London«, sagte José.
»Ja«, sagte Jonathan. War es nicht egal, ob es London oder Hamburg gewesen war? Wo lag der Unterschied? »Sie haben es nicht mehr in den Keller hinuntergeschafft. Nur ich war dort unten. Sie waren draußen. Meine Mutter und meine kleine Schwester. Julia.« Er griff in seine Tasche und legte eine alte Mütze und ein Stück rotes Band vor José aufs Kajütendach. »Das ist alles, was von ihnen übrig geblieben ist. Die Mütze … gehörte meinem Vater. Aber meine Mutter hatte sie in der Nacht auf. Und das rote Band gehörte Julias Teddybären. Später, auf unserer Reise, ist es abgegangen, deshalb habe ich es in der Tasche. Der Teddybär ist vermutlich noch bei Wa… bei Smith.«
»Bei wem?«
»Smith. Er hat mich rausgeholt. Aus Ha… aus London.«
»Ist er … ein Freund deiner Eltern?«
»Nein«, sagte Jonathan schroff. »Der Bruder meiner Mutter. Sie haben schon ein paar Jahre lang nicht miteinander geredet. Nur … früher. Meine Mutter, weißt du, sie hat immer von den Galapagosinseln gesprochen. Sie wollte so gern hierher auswandern. Es war nur ein Traum. Und dann ist sie gestorben und der Traum war zu Ende geträumt. Aber eines Tages stand ihr Bruder vor der Tür. Vor der Tür von Frau Adams Schwester, bei der ich wohnte. Und er sagte: Wir fahren. Einfach so, ganz plötzlich. Wir fahren zu den Galapagosinseln, M… Jonathan, genau so, wie deine Mutter es sich gewünscht hat. Niemand hat geglaubt, dass er es ernst meint. Es war zu verrückt. Aber hier bin ich: auf den Galapagosinseln.«
José nickte. »Hier bist du«, sagte er, »und ein Glück, sonst hätte ich niemanden, der mit mir zur Isla Maldita fährt, denn dazu ist nun wahrhaftig niemand verrückt genug. Aber hör mal, willst du wirklich mitfahren? Willst du nicht zurück zu deinem Onkel?«
»Nein«, sagte Jonathan sehr bestimmt. »Das will ich nicht.«
José zuckte die Schultern und kletterte hinunter in die Kajüte, um den dreibeinigen Gaskocher zu holen. Dann kochten sie Kaffee in einem Topf und öffneten eine Dose, deren Aufschrift man nicht mehr lesen konnte. Carmen reckte neugierig ihre winzige braune Schnauze und Oskar fischte etwas Orangefarbenes aus der Dose und verschlang es gierig. Dann streckte er den Schnabel und angelte sich ein zweites orangefarbenes Etwas …
»Eine Dose mit Pinguinfutter?«, fragte Jonathan zweifelnd.
José roch an der Dose. »Krabbensuppe«, sagte er. »Du meine Güte, der alte Juan Casaflora hat nicht schlecht gelebt. Da ist noch eine Menge solcher Dosen. Allerdings hätte er sich die Krabben auch an den Stränden der Inseln fangen können.«
So frühstückten sie Kaffee und Krabbensuppe, und José sagte, nun brauchten sie nur noch eine Flasche Sekt, um auf den Beginn ihrer gemeinsamen Reise anzustoßen.
Dann sah er zwischen den Felsen hindurch aufs Meer hinaus und wurde plötzlich ernst.
»Das nächste Stück unserer Reise ist das längste«, sagte er. »Vor der Insel Marchena gibt es kein Festland und bis dorthin sind es mehrere Tage. Das ist offener Ozean, es gibt keinen Windschutz durch die anderen Inseln, es gibt …« Er seufzte. »… nichts.«
»Wie lange werden wir nach Mar… zu dieser Insel brauchen?«
José zuckte die Schultern. »Wenn der Wind so bleibt wie jetzt – zwei Tage? Wenn er dreht … kann es eine Woche dauern. Länger.«
»Du warst noch nie dort.«
José schien zu
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