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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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S PIEGELBILDER
    Der CD-Spieler summt leise, bis er die richtige Stelle gefunden hat, während ich mich seufzend zurücklehne - und jetzt rein ins Operngejodle.
    »So klopft mein lie-he-be-vo-ho-lles Heherz!« Pling. »So klopft mein lie-he-be-vo-ho-lles Heeeeerz …« Hui, der quetscht aber ganz schön beim Singen. Dem muss ja der Kopf platzen. Was war das jetzt noch mal? Erster Aufzug … fünfter Auftritt; die Arie von Belmonte an Konstanze. Seine Geliebte. Stimmt das? Ja, es stimmt.
    Trotzdem. Diesen dämlichen Musiktest zu Mozarts »Entführung aus dem Serail« verhaue ich bestimmt. Erstens habe ich viel zu wenig gelernt, zweitens kann ich für so anstrengende Arien mein Herz nicht erwärmen und drittens mag mich unser Musiklehrer nicht. Mama meint, das würde ich mir einbilden. Ihrer Meinung nach bilde ich mir ziemlich viel ein. Aber es ist so. Der mag mich nicht.
    »… ist das ihr Lispeln? War das ihr Seufzen? Es wird mir so bange, es glüht mir die Wange …« Was für eine Sprache! Redet man so, wenn man verliebt ist? Hier dreht sich alles um diese Konstanze, in der Zauberflöte gibt’s sogar gleich zwei Pärchen. Scheint ja ziemlich aufregend zu sein, wenn man verliebt ist. Ich meine, es muss einem schon sehr zusetzen, wenn man so redet wie der hier.
    Ich weiß nicht, wie das ist, verknallt zu sein. Ich war’s ja noch nie. Vielleicht hab ich das mal behauptet, ja. Aber ich kann nichts Besonderes an den Mädchen bei uns in der Klasse finden. O.k., viele sehen gut aus, keine Frage. Aber das juckt mich nicht weiter und die Wange glüht schon gar nicht. Würde ich das überhaupt merken, wenn ich verliebt wäre?
    Toni kriegt einen knallroten Kopf, wenn manche Mädchen an ihm Vorbeigehen. Und Marc und Anja grinsen sich immer so komisch an. Es heißt ja, die sind zusammen. Gestern hab ich gesehen, wie Marc kurz ihre Hand genommen hat. Und ich hatte dabei ein merkwürdiges Gefühl im Magen. Ich mag beide sehr, aber in diesem Moment war ich überflüssig. Das hab ich genau gespürt. Dabei kenne ich Anja schon seit der Grundschule.
    Jetzt kann ich mich sowieso nicht mehr auf diese Oper konzentrieren. Mir tut das Gesinge in den Ohren weh und das Stillsitzen macht mich ganz zappelig. Ach, es hat keinen Zweck. Ich schalte den CD-Spieler wieder aus. Es reicht. Henri, unserem Hund, scheint das Gedudel auch nicht zu gefallen. Er hat eben immer wieder leise gefiept und den Kopf zwischen die Sofakissen gedrückt.
    Ich geh lieber zu Damos. Nach draußen in die Sonne. Damos ist ein sechsjähriger Schimmelwallach, mit Araberblut und schokobraunen Flecken auf dem Hintern. Stolz bin ich auf den. Ich war noch nie auf etwas so stolz wie auf Damos. Mein Pferd. Hab ihn vor ein paar Monaten bekommen, weil meine Eltern mich kaum mehr aus dem Stall gekriegt haben. Ich lungerte nur noch an seiner Box herum und wartete darauf, ihn reiten zu können. Dann kam Papa im Stall vorbei und unterhielt sich sehr lange mit meinem Reitlehrer. Ich durfte nicht dabei sein, drückte mich aber die ganze Zeit in den benachbarten Boxen herum und hörte Worte wie »Talent« und »Zukunft« und »wertvoll«. Ich weiß bis heute nicht, ob sie mich oder Damos meinten.
    Aber eines Morgens, nachdem wir abends lange über Damos und das Reiten gesprochen hatten, lag das Foto von ihm auf meinem Frühstücksteller. Mama hat mit Silberstift »Ich gehöre jetzt dir« darauf geschrieben. »Damit wir wenigstens wissen, wo du bist, wenn du wieder rumströmerst«, sagte Papa. Da glühte mir allerdings die Wange und mein Herz machte gleich mehrere Sprünge. Obwohl ich geahnt hatte, dass sie das tun würden, war es die größte Überraschung meines Lebens. Eigentlich freu ich mich immer noch, wenn ich darüber nachdenke. Das ist eine Freude, die nie aufhört, und manchmal fühlt sie sich sogar ein bisschen schwer an.
    Mein Papa ist Arzt und er ist während seiner Studentenzeit geritten, viel sogar. Jetzt: kaum mehr Zeit. Im Grunde ist er schuld daran, dass ich so pferdenärrisch wurde. Er hat mich immer mitgenommen zu Turnieren und in den Stall, früher. Das war aufregender als alles andere. Vor allem das Springreiten. Ich hab meinen Kopf auf die Bande gestützt und mir die Augen ausgeschaut, und mit sieben durfte ich dann endlich selbst Reitstunden nehmen. Auf einem kleinen wilden Pony. Luzifer hieß es und hat sich auch so benommen.
    Nachdem ich das erste Mal auf einem Pferd gesessen hatte, wusste ich genau: Das ist viel besser, als sich auf zwei Beinen fortzubewegen.

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