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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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finden,
    Zunge rollen, Zunge winden,
    rosa rosa rosa rosa
    wie ein Wolkenboot.
    Zungen klicken, Zehen spreizen,
    Beine knicken, nur nicht geizen
    mit den tausend Positionen
    im Ballett der Klimazonen,
    rosa rosa rosa rosa,
    sonst herrscht Farbverbot.
    Und jetzt alle: Hälse biegen!
    Und jetzt alle: Köpfe wiegen!
    Und jetzt alle: Losmarschieren!
    Und jetzt alle: Kopf verlieren!
    Und jetzt alle: Massenpanik!
    Wie auf sinkender Titanic.
    Ach, wir glaubten uns versteckt,
    doch der Mensch hat uns entdeckt.
    In die Luft! Nur noch ein Wort:
    Fort und fort und fort und fort!
    Wer nicht schnell genug ist heute,
    bleibt und wird zur leichten Beute,
    rosa rosa rosa rosa rosa rosa rot
    rosa rosa rosa rosa
    rosa rosa tot.

Que pasó en el bosque
Was im Wald geschah
    A
ls Jonathan schließlich wagte aufzusehen, standen die Flamingos nicht mehr auf dem flachen Felsen. Sie würden wiederkommen. Auch die anderen Vögel, die ins Unterholz geflohen waren, würden wiederkommen. Nur einer, der käme vielleicht nicht wieder. José.
    »Lass die Mariposa nicht allein«, hatte er gesagt.
    »Aber dich, dich soll ich allein lassen?«, murmelte Jonathan. »Oskar«, sagte er dann. »Ich fürchte, du wirst eine Weile auf die Mariposa aufpassen müssen. Segle nicht ohne uns weg, ja?« Er versuchte zu lachen, doch das Lachen kratzte in der Kehle. Er betrachtete einen Moment lang die Roosevelt, die ebenfalls allein gelassen im Wasser lag. Und auf einmal wusste er, was er zu tun hatte. Er steckte das Brotmesser ein. Es würde scharf genug sein, um ein Tau zu durchtrennen.
    Etwas bewegte sich auf seinem Kopf. Carmen, die Ratte. Sie schien entschlossen, ihn zu begleiten. Beinahe war er erleichtert darüber, nicht allein gehen zu müssen. Er schwamm ans Ufer und war kurz darauf über den flachen Felsen unterwegs, zu dem die Flamingos tatsächlich zurückgekehrt waren. Doch als sie ihn kommen sahen, stiegen sie direkt wieder auf, panisch, als wäre er der gefährlichste Feind, den sie sich vorstellen konnten.
    Eine merkwürdige Sorte Feind, dachte Jonathan, ein Brotmesser in der Hand, eine Ratte auf dem Kopf.
    Minuten nachdem er das Tau durchgesäbelt und das Militärschiff befreit hatte, trat er zwischen die ersten dornigen Büsche der Insel. Er folgte einer Spur aus umgeknickten Ästen.
    »Ist das nicht seltsam?«, sagte er leise zu Carmen. »Hier wandere ich durch die Hitze, um einen zu retten, der alle Deutschen abknallen will. Aber er weiß natürlich nicht, wer ich bin. Manchmal glaube ich selbst beinahe, mein Name wäre Jonathan.«
    Er ging auf den Ort zu, von wo die Schüsse gekommen waren, ins Inselinnere. Aber irgendwann war er sich nicht mehr sicher. Außer niedrigem Farn und Büschen war nichts zu sehen. Auf den Lavafelsen wanden sich die Ranken von verschwenderisch bunten Passiflorablüten, tausend kleine Vögel waren dort unterwegs, und große, träge Landleguane saßen sonnentrunken zwischen den Steinen. Manche von ihnen kamen näher, als sie Jonathan entdeckten.
    »Habt ihr gesehen, wohin er gegangen ist?«, fragte Jonathan, erst auf Deutsch, dann auf Spanisch und schließlich auf Englisch. Die Leguane folgten ihm ein Stück, die hungrigen Augen auf seine Hosentaschen gerichtet. Schweigend.
    »Ich suche einen Freund!«, rief Jonathan verzweifelt. »Meinen einzigen Freund! Alle anderen Freunde, die ich hatte, hat der Krieg verschluckt!«
    Er dachte erst über seine Worte nach, als er sie hörte. Einen Freund. War José ein Freund? José, der nichts mit ihm gemein hatte? Der Tiere schoss und über den Pazifik segelte und alle Deutschen hasste? Er kannte ihn kaum. Aber es war die Wahrheit: Er war der Einzige, der ihm blieb. Den Einzigen durfte man nicht verlieren.
    Die Bäume um Jonathan wurden höher, behängten sich mit dichten Flechten und schlossen sich zu einem Wald voll raschelnder grüner Schatten. Jonathan blieb stehen. Er hatte keine Chance, José zu finden.
    Und genau da fand er ihn. Oder eigentlich fand Carmen ihn. Sie gab eine Serie aufgeregter Fieplaute von sich, kletterte an Jonathan hinab und wuselte davon, mitten hinein in ein dichtes Gebüsch. Jonathan folgte ihr. Als er die Zweige teilte, rieselten Millionen weißer Blütenblätter zu Boden. Sie rieselten auf das Gras einer felsigen Lichtung. Und dort lag José. Er lag auf der Seite, reglos, sein schwarzes Haar verklebt von Blut.
    Jonathan schluckte. Dann sah er im beißenden senkrechten Sonnenschein, dass sich Josés Brust hob und senkte. Er atmete. Carmens kleiner

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