Die geheime Sammlung
schoss wie konzentriertes Mondlicht aus dem Kästchen, als sie die Kugel herausnahm. Wegen des Lichts konnte ich das, das wie Dr.Rust aussah, nur schwach im Inneren der Kugel erkennen.
Ich hörte ein Kreischen über mir. Etwas Großes schlug direkt vor unseren Füßen senkrecht auf den Boden auf.
André versteckte sich hinter Jaya. »Vogel hat Aua«, sagte er mit ausgestrecktem Zeigefinger.
Er hatte recht. Es war der Vogel aus Mr.Stones Wohnung. Seine Kehle blutete nicht mehr, aber sein Gefieder war blutbefleckt und sein Flügel stand immer noch in einem unmöglichen Winkel vom Körper ab. Er kreischte und kreischte.
»Stell die Kugel weg, Jaya. Ich glaube, das bringt den Vogel zum Schreien«, sagte ich.
Sie ließ die Kugel ins Gras fallen, und das Licht erlosch. Der Vogel hörte auf zu kreischen, aber er gab immer noch ein leises Knurren von sich.
»Ob der Vogel kommen muss, wenn man die Kugel berührt?«, fragte Aaron.
»Muss wohl«, sagte ich. »Er sieht entsetzlich aus.«
Der Vogel zitterte. »Vogel hat großes Aua«, sagte André, immer noch sicher hinter Jaya versteckt.
Ich feuchtete mein Halstuch im Brunnen an, trat vorsichtig an den Vogel heran und wischte etwas von dem Blut weg.
»Warum machst du das? Er hat versucht uns umzubringen, falls du das schon vergessen haben solltest«, sagte Aaron.
»Du siehst doch, dass er leidet.« Ich spülte das Halstuch aus und versuchte die Wunde am Hals des Vogels abzutupfen. Er knurrte, hackte aber nicht nach mir. »Braves Vögelchen. So, so, so«, sagte ich und wusch seine Wunden aus.
Aaron knurrte. »Braves Vögelchen? Du bist viel zu nett, Elizabeth. Kümmere dich nicht um den Vogel, sondern lass uns nach der Blume suchen, damit wir Dr.Rust entzaubern können.«
»Okay, auf geht’s«, sagte Jaya. Sie schwang ihren Löwenzahn wie ein Bühnenmagier seinen Zauberstab und berührte die Kugel damit. Nichts geschah.
»War wohl kein verzauberter Löwenzahn«, stellte Aaron lakonisch fest.
»Das weißt du nicht«, entgegnete Jaya. »Vielleicht macht seine Magie was ganz anderes.«
»Von mir aus«, stöhnte Aaron. »Lass uns mehr Blumen suchen.« Er ging am Springbrunnen vorbei und entfernte sich.
Ich füllte meine Trinkflasche am Brunnen auf und goss dem Vogel etwas Wasser in den Schnabel. Ich fand eine übrig gebliebene Orange von meinem Mittagessen in meinem Rucksack und legte sie neben den Kopf des Vogels. Er schlang sie in drei Bissen samt Schale herunter, Orangensaft kleckerte auf das Gras. Ich schauderte, als ich daran dachte, was er mit meiner Hand hätte anstellen können.
»Bleib da, ich komme bald zurück.«
»Tschüss, Vogel«, sagte André, legte Marc hinter Jaya auf den Boden und nahm meine Hand.
Der Springbrunnen schoss sein Wasser in vier Richtungen davon, und jeder Wasserstrahl wurde zu einem Fluss. Wir gingen unter dem ersten Strahl hindurch in die Wälder. Es war Herbst hier, wie im westlichen Tiffany-Fenster: ein wunderbarer Oktobertag, an dem das Laub in allen Farben an den Bäumen hing. Wir fanden rote Astern, harte Castilleja, die sich kaum abbrechen ließ, und eine Rose, die wunderschön duftete, aber nichts davon entzauberte Dr.Rust, als wir zum Springbrunnen zurückkehrten und es ausprobierten. Auch die anderen hatten nichts Wirksames gefunden.
Der Vogel war aufgestanden und lehnte sich gegen den Springbrunnen, den Kopf unter seinen gesunden Flügel geschmiegt. Er schien zu schlafen, was ich für ein gutes Zeichen hielt.
Als Nächstes gingen wir unter zwei Wasserstrahlen hindurch auf die Winterseite. Der Strom aus dem Springbrunnen gefror zu bizarren Eiszapfen. Zitternd vor Kälte fanden wir Zaubernuss, Winterjasmin und weiße, wachsartige Kügelchen auf einem Immergrün. Nichts davon entzauberte Dr.Rust. Der Vogel wachte nicht auf, als wir die Kristallkugel mit einer der Blumen zu stark anstießen und das Licht uns wieder blendete – er rührte sich nur im Schlaf.
»Irgendwas Neues?«, fragte Jaya, die mit lauter Krokusblüten, Narzissen, Tulpen, Forsythien und grellrosa Azaleen aus dem Frühlingsabschnitt zurückkam.
Ich schüttelte den Kopf.
Aaron kam mit einem Arm voller Sommerblumen von seiner Suche wieder. Er ließ sie alle ins Gras neben der Kristallkugel fallen und begann dann systematisch, die Kugel mit einer Blume nach der anderen zu berühren.
»Keine Rosen«, sagte ich ihm, um ein bisschen zu helfen.
»Oh. Dann ist die hier für dich.« Er hielt mir die Rose, mit der er gerade die Kristallkugel berührt hatte,
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