Die geheime Sammlung
fragte ich.
»Wir bewahren die Textilien wegen des Lichts unter der Erde auf. Tageslicht ist Gift für die meisten Fasern. Sie können ausbleichen oder sogar zerfallen. Aber es gibt Schreibtischlampen, wenn du lesen möchtest. Und die Damentoilette in diesem Stockwerk hat einen großen Spiegel.«
Die Gänge zwischen den Kabinetten führten in die Dunkelheit. Ich hörte Schritte, die weit entfernt verhallten. »Es ist gespenstisch«, sagte ich.
Ms.Callender lächelte, ihre runden Wangen wurden zu Apfelbäckchen. »Findest du? Die meisten Pagen finden Magazin eins am gruseligsten. Nun ja, zuallererst: Wasch dir immer die Hände und zieh Handschuhe an. Die Fette und Säuren auf deinen Händen können die Stoffe beschädigen.«
Es gab ein Waschbecken neben den Speiseaufzügen, dazu ein Kabinett voll mit Baumwollhandschuhen, gepolsterten Kleiderbügeln, Seidentüchern und Pappkartons mit der Aufschrift » ARCHIV «.
»Das verstehe ich nicht«, sagte ich, während ich mir die Hände wusch. »Hier kann man Dinge ausleihen, richtig? Also leihen sich Leute die Kleider aus und tragen sie. Das muss schlimmer für die Kleidung sein als meine Hände.«
Sie lächelte. »Ja, du hast recht. Rein formal gesehen leihen wir fast alle unsere Bestände aus. Aber das heißt nicht, dass die Leute alles mit den Sachen, die sie ausleihen, anstellen können. Sie müssen sie im selben Zustand zurückgeben, in dem sie sie ausgeliehen haben, oder sie zahlen Abnutzungsgebühren. Und die wertvollsten Gegenstände werden nur gegen Pfand ausgegeben.«
»Wie viel muss man bezahlen, wenn man etwas mit Fingern anfasst?«
»Das kommt darauf an, was man entliehen hat. Nicht viel, wenn es nur ein T-Shirt ist, aber mehr, wenn es der Hut Lincolns oder die Perücke von Marie Antoinette ist. Für die wichtigen Gegenstände gibt es so viele Auflagen, dass eigentlich niemand außer Museen sie ausleiht, und dort werden sie wohl nicht getragen. Wir haben einen Versicherungsmathematiker im Team, um die Auflagen festzulegen.«
»Marie Antoinettes Perücke! Kann ich die sehen?«
»Sicher.« Ms.Callender berührte einen Schalter, und ein gedämpftes Licht erleuchtete einen der Gänge. Wir gingen ihn hinunter bis zu einer Tür mit der Aufschrift
*W
, den sie aufschloss. »Das ist der Raum für Wertgegenstände in Magazin zwei,
*W
für
Wertgegenstände
«, erklärte sie. Der Raum war vollgestopft mit beschrifteten Schränken. Einen davon schloss Ms.Callender auf und zeigte mir Reihen von Perücken auf Köpfen, die wirkten, als seien sie aus Porzellan. Es gab blonde und schwarze, Perücken mit komplizierten Zöpfen und einfachen Dutts und lange, gelockte Perücken, wie sie die Richter in englischen TV -Sendungen tragen.
»Ich werde sie nicht herausholen, aber die da gehörte der Königin«, sagte Ms.Callender und zeigte auf eine weiße Perücke. Sie war hoch und ziemlich schlicht.
»Wow! Hat sie die getragen, als ihr der Kopf abgeschlagen wurde?«, fragte ich. Ich suchte nach Blutspuren, fand aber keine.
Sie wehrte ab: »Nein, nein! Igitt! Nein, das ist eine ihrer einfacheren Perücken für Wochentage. Sie gab sie einer ihrer Dienerinnen. Und diese entkam – als Perückenmacherin verkleidet – der Revolution und ging nach England. Dort heiratete sie einen Pelzhändler aus Vermont. Einer ihrer Nachkommen stiftete die Perücke in den Sechzigern. Er bekam eine Bescheinigung für die Steuer.«
»Das ist unglaublich! Wo ist Lincolns Hut, kann ich den auch sehen?«
»Vielleicht ein andermal. Frag mich noch einmal, wenn wir nicht so beschäftigt sind, ja, Liebes? Lass mich dir zuerst zeigen, wie man einen Bestellzettel bearbeitet.«
Ms.Callender schloss den *W-Raum sorgfältig ab, und wir gingen zurück zum Sammelpunkt des Magazins 2 , mit seinen Fahrstühlen und dem Waschbecken. Ein Junge in meinem Alter studierte einen Bestellzettel unter einer der Schreibtischlampen. Das Licht ließ seine Nase und seine Wangenknochen harte und tiefe Schatten werfen.
»Hallo, Aaron«, sagte Ms.Callender. »Das ist Elizabeth. Ich zeige ihr, wie man Bestellzettel bearbeitet. Hast du was dagegen, wenn wir den nehmen?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte er, gab ihr den Schein, und sie breitete ihn auf dem Pult aus.
Darauf stand:
Bestellnummer: II K&T 391 . 440 944 L 46
Beschreibung: Sonnenschirm für Damen, Seide, Stahl und Bambus, Pflanzengriff, Eiche. Frankreich, Lendemain Frères, 1888
Gast: Matilda Johnson
Organisation: TriBeCa Studio
»Für dich ist die
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