Die geheime Sammlung
in der Größe von Schuhkartons unter den Arm geklemmt. Er stellte das erste in den kleinsten Fahrstuhl, schloss die Tür und drückte einen Knopf.
»War das ein Buch?«, fragte ich.
»Was? Nein, eine Kakaokanne. Entschuldigung, ich hätte sie dir zeigen sollen. Ein Gast hat ein Kakao-Service bestellt. Hier, für die Sahne und den Zucker.« Er öffnete den zweiten Karton und zeigte mir einen ausgefallenen, gedrehten Sahnekrug und eine Zuckerschale, die in ein flauschiges, watteähnliches Zeug eingepackt waren. Dann befestigte er das Material vorsichtig erneut an dem Service.
»Kann ich dich etwas fragen?«
»Ja, klar. Wie der Doc sagen würde: ›Wer Fragen stellt, verläuft sich nicht‹«, imitierte er sehr überzeugend Dr.Rusts hoch-tiefe Stimme.
»Gut, also dieser Job. Was soll ich machen? Bin ich so was wie ein Tellerwäscher?«
»Ein Tellerwäscher!« Er kugelte sich geradezu vor Lachen. »Wieso solltest du ein Tellerwäscher sein?«
Ich wurde wütend. Ausgelacht zu werden, war schlimm genug, von Marc Merritt ausgelacht zu werden, war schlimmer als schlimm. Und außerdem fand ich meine Frage gar nicht so weit hergeholt. »Nun, Dr.Rust hat mich gefragt, wie oft ich den Tisch decke und ob ich eine Menge Porzellan zerbreche. Und hier steht überall Porzellan herum. Worum
geht es
bei diesem Job, wenn ich nicht das Geschirr spülen soll?«
»Du bist ein Page.«
Ein Page? Das ergab noch weniger Sinn als meine Idee mit dem Tellerwäscher. Machte er sich über mich lustig? »Du meinst … ein Page wie im Mittelalter? Ein angehender Ritter? Gibt es Schwerter und Drachen, die in den Schränken eingeschlossen sind?«
Er brüllte schon wieder vor Lachen, aber diesmal fühlte ich mich nicht ganz so mies. Man könnte ja behaupten, dass er diesmal über meinen Witz gelacht hatte.
»Nein, ein Bibliothekspage«, sagte er. »Wenn ein Bestellzettel reinkommt, holst du den Gegenstand, den der Gast bestellt hat. Hast du schon mal die Präsenzbibliothek in der Zweiundvierzigsten Straße benutzt? Die schließen die Bücher weg und bringen sie dir, wenn du sie bestellst. Hast du dich jemals gefragt, wer die Bücher holt? Das machen Pagen.«
»Aber wenn das hier eine Bibliothek ist, wo sind die ganzen Bücher?«
»Bücher? Ein paar sind in Magazin sechs. Die meisten sind im Dokumentenraum oder dem Referenzraum. Und der Rest ist halt verstreut.«
Es gab also nicht viele Bücher? Laut fragte ich: »Was für eine Bibliothek ist das hier?«
Doch bevor er noch antworten konnte, öffnete sich die Tür des Treppenhauses und eine Frau kam herein. »Hi, Marc«, sagte sie. »Elizabeth, oder? Ich bin Martha Callender.« Sie klemmte sich eine Strähne glatten, braunen Haars hinter ein kleines, rundes Ohr. Irgendwie war alles an ihr rund, ihre Wangen, ihre Figur, ihr Kragen, die großen Knöpfe auf ihrer Jacke, selbst ihr Haarschnitt, der ihr rundes Gesicht rund umfasste und ihr ständig in die runden Augen fiel.
»Herzlich willkommen! Toll, dass du bei uns bist«, begrüßte sie mich. »Wir waren in letzter Zeit ziemlich unterbesetzt – in den letzten zwei Monaten haben wir zwei Pagen verloren –, und Stan hat Dr.Rust gesagt, du seist fleißig.«
Ich fühlte mich geschmeichelt. »Ich mag seinen Unterricht. Es lohnt sich, dafür fleißig zu sein.«
»Ich wette, er ist ein hervorragender Lehrer. Wie geht es ihm? Und der Bestie?«
»Mr.Mauskopf geht es gut. Und die … äh, die Bestie habe ich noch nie gesehen.«
»Nicht? Nun, das ist etwas, worauf du dich noch freuen kannst.« Sie strahlte mich an. »Hat Marc dir schon alles gezeigt?«
»Bis jetzt nicht«, sagte Marc. »Ich habe eine Bestellung bearbeitet.«
»Okay. Dann führe ich dich herum. Zunächst einmal: Hast du noch irgendwelche Fragen?«
Und dieses Mal nickte ich. »Ja. Was genau ist das hier?«
»Ich weiß nicht genau, was du mit ›hier‹ meinst. Magazin neun? Die Sammelstelle des Magazins neun?«
»Nein, ich meine die gesamte Einrichtung, das Archiv.«
Ich erwartete keine richtige Antwort. Was immer das auch für ein Ort war, es schien hier eine Menge Leute zu geben, die sagten, man solle fragen, und die sich dann weigerten zu antworten.
Aber Ms.Callender holte tatsächlich Luft und begann: »Das New Yorker Repositorium der Verleihbaren Schätze ist landesweit die älteste Bestell-Bibliothek ihrer Art. Mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen existiert sie bereits seit 1745 . Damals begannen drei Uhrmacher damit, sich einige ihrer Spezialwerkzeuge zu
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