Hex Hall 01 - Hawkins, R: Hex Hall 01
Prolog
Felicia Miller hatte sich auf die Toilette zurückgezogen und heulte. Mal wieder.
Ich wusste, dass sie es war, denn in den drei Monaten, die ich die Green Mountain High inzwischen besuchte, hatte ich Felicia schon zweimal auf der Toilette heulen sehen. Ihr Schluchzen war wirklich unverkennbar, immer noch so hoch und krächzend wie das eines kleinen Kindes, obwohl Felicia doch schon achtzehn war, zwei Jahre älter als ich.
Bisher hatte ich sie immer in Ruhe gelassen, weil ich fand, dass jedes Mädchen das Recht haben sollte, ab und zu mal auf der Toilette zu weinen.
Aber heute war der Abend des Schulballs, und im Abendkleid zu schluchzen – das ist einfach zu traurig. Außerdem hatte ich eine kleine Schwäche für Felicia entwickelt. Ein Mädchen wie sie hatte es in jeder Schule gegeben, die ich bisher besucht hatte (neunzehn – insgesamt). Ich mochte ja ein komischer Vogel sein, aber die anderen waren nie gemein zu mir; meistens ignorierten sie mich einfach. Felicia dagegen war der Punchingball der Klasse. Für sie war die Schule nichts anderes als eine Abfolge von geklautem Mensageld und boshaften Bemerkungen.
Als ich unter der Kabinentür hindurchblinzelte, sah ich ein Paar Füße in gelben Riemchensandalen. »Felicia?«, rief ich und klopfte leise an die Tür. »Was ist denn los?«
Sie öffnete und sah mich mit wütenden, blutunterlaufenen Augen an. »Was los ist? Tja, lass mich mal überlegen, Sophie – heute ist mein Schulabschlussball, und siehst du hier irgendwo einen Begleiter?«
»Äh … nein. Aber du bist ja auch auf der Damentoilette, also dachte ich …«
»Was?«, sagte sie, während sie aufstand und sich mit einem dicken Knäuel Klopapier die Nase putzte. »Dass mein Date da draußen steht und auf mich wartet?« Sie schnaubte. »Vergiss es. Ich habe meine Eltern belogen und gesagt, ich hätte eine Verabredung. Also haben sie mir dieses Kleid gekauft« – sie schlug auf den gelben Taftstoff ein, als wäre er ein Käfer, den sie plattzumachen versuchte – »und ich hab ihnen erzählt, ich würde mich mit meinem Date treffen, also haben sie mich hier abgesetzt. Ich konnte … ich konnte ihnen einfach nicht sagen, dass mich niemand zum Abschlussball eingeladen hat. Es hätte ihnen das Herz gebrochen.« Sie verdrehte die Augen. »Wie armselig!«
»So armselig nun auch wieder nicht«, meinte ich. »Viele Mädchen kommen allein zum Schulball.«
Sie funkelte mich an. »Hast du ein Date?«
Ich hatte tatsächlich eins. Na schön, es war Ryan Hallerman, vielleicht der einzige Schüler der Green Mountain High, der noch tiefer im Ansehen der anderen stand als ich. Aber immerhin besser als gar nichts. Und meine Mom war so glücklich, dass mich jemand eingeladen hatte. Für sie war es ein Zeichen dafür, dass ich endlich versuchte, mich anzupassen.
Anpassung war für meine Mom nämlich sehr wichtig.
Ich beobachtete Felicia, wie sie da in ihrem gelben Kleid stand und sich die Nase putzte, und bevor ich mich bremsen konnte, sagte ich etwas wirklich Dummes: »Ich kann dir helfen.«
Felicia stierte mich mit verschwollenen Augen an. »Wie?«
Ich hakte sie unter. »Erst mal müssen wir hier raus.«
Wir verließen die Toilette und gingen durch die überfüllte Sporthalle. Felicia wirkte argwöhnisch, als ich sie durch die große Doppeltür und hinaus auf den Parkplatz führte.
»Falls das so eine Art Streich wird, ich habe Pfefferspray in meiner Handtasche«, sagte sie und drückte sich ihre kleine gelbe Abendtasche an die Brust.
»Entspann dich.« Ich sah mich um, wollte mich vergewissern, dass der Parkplatz verlassen war.
Obwohl schon Ende April, war es doch noch ziemlich kühl, und wir fröstelten beide in unseren Kleidern. »Okay«, sagte ich zu ihr. »Wenn du dir irgendjemanden als deine Verabredung aussuchen könntest, wer würde es sein?«
»Willst du mich quälen?«, fragte sie.
»Beantworte mir einfach die Frage.«
Sie starrte auf ihre gelben Schuhe und murmelte: »Kevin Bridges?«
Das überraschte mich nicht. Präsident des Schülerparlaments, Football-Captain, ein superheißer Typ … Kevin Bridges war der Junge, den sich fast jedes Mädchen als Begleiter für den Ball aussuchen würde.
»Also schön. Kevin soll es sein«, murmelte ich und ließ die Knöchel knacken. Dann hob ich die Hände zum Himmel, schloss die Augen und stellte mir Felicia in Kevins Armen vor, sie in ihrem leuchtend gelben Kleid, er im Smoking. Nachdem ich mich einige Sekunden lang auf dieses Bild
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