Der Tod des Chefs/Mord mit doppeltem Boden
1
Ich konnte es nicht glauben. Unter dem
Scheibenwischer meines VW Rabbit klemmte tatsächlich ein Strafzettel. Kode
27368. Was zum Teufel hieß 27368? Ich riß den Strafzettel heraus und drehte ihn
um. Aus der Liste all der Dinge, die sich ein Autofahrer in Santa Barbara von
Gesetzes wegen nicht erlauben darf, ging es klar hervor. Überfällige
Wiederzulassung des Fahrzeugs.
» Maldito !« Ich warf einen Blick
auf das Nummernschild. Richtig. Dem Aufkleber zufolge wäre die Wiederzulassung
im April fällig gewesen. Und heute war der 2. Mai.
Zornig zerriß ich den Zettel und ließ
die Fetzen auf die Straße flattern. Normalerweise bin ich eine gesetzestreue
Bürgerin, aber was zuviel ist, ist zuviel.
»Wenigstens ein paar Tage Frist könnten
sie einem lassen«, schimpfte ich, schon auf dem Weg zum Museum, vor mich hin.
Nur des Museums wegen hatte ich vergessen, die Wiederzulassungsgebühr zu
überweisen. Der Schein lag zu Hause auf meinem Schreibtisch, aber der Umzug
unseres Museums samt Ein- und Auspacken und außerdem Vorbereitungen für den
bevorstehenden Presse-Empfang hatten mich so in Anspruch genommen, daß ich
nicht einmal Zeit gehabt hatte, ihn auszufüllen.
Trotzdem, das war sogar diesen Ärger
wert, sagte ich mir mit einem Anflug von Stolz, während ich auf den Adobe-Bau
aus dem 19. Jahrhundert zuging, in dem das Museum für Mexikanische Kunst nun
untergebracht war. Einen Monat zuvor hatten wir noch in einem Ladenlokal im
schäbigsten Viertel der Stadt gehaust; jetzt saßen wir wie die Perle im Gold in
einem historischen Gebäude in Pueblo Viejo, Santa Barbaras Altstadt. Das Museum
war jung — genaugenommen war es erst fünf Jahre alt — und eigentlich viel zu
arm, um sich so eine stilvolle Unterkunft leisten zu können, aber der schöne
alte Bau war das unerwartete Vermächtnis eines verstorbenen
Verwaltungsratsmitglieds.
Unter dem Torbogen, der in den
Mittelhof führte, blieb ich einen Moment stehen und betrachtete den
blaugekachelten Springbrunnen. Bis zu unserem Einzug war er völlig verstopft
gewesen, aber ich hatte einen Fachmann gefunden, der ihn uns kostenlos
gereinigt hatte, und nun sprudelte das Wasser heiter im Licht der
Spätvormittagssonne. Die Höfe und kleinen Gärten rund um das Gebäude waren
voller Blumen — Hortensien, Azaleen, Poinsettias — dank einer Vorliebe unseres
Direktors für alles, was grünte und blühte.
Einer seiner wenigen Vorzüge, dachte
ich, als ich ihn am Portal zu den Ausstellungsräumen stehen sah. Frank de Palma
war ein dicker, kraushaariger Mann, der trotz seiner Maßanzüge immer aussah,
als hätte er sich bei der Heilsarmee eingekleidet. Er stand da, die Hände auf
dem Rücken, und betrachtete, ähnlich wie ich eben, den Springbrunnen und dann
den Saal mit den Ausstellungsstücken aus der Kolonialzeit. Seine Krawatte saß
schief, das Hemd spannte über dem überhängenden Bauch, einer der Knöpfe war
aufgegangen, und durch den Spalt war schwabbeliges, dunkel behaartes Fleisch zu
sehen. Angewidert wandte ich mich ab.
Ich hätte Frank sein ungepflegtes
Äußeres verzeihen können, wenn er ein kompetenter Administrator gewesen wäre.
Aber er nahm seine Arbeit mehr auf die leichte Schulter, und seit unserem Umzug
hatte er vor lauter Aufregung überhaupt keinen Finger mehr krumm gemacht. Statt
sich an seinen Schreibtisch zu setzen, wanderte er herum wie jetzt oder
brüstete sich vor seiner Gefolgschaft — einer Gruppe von Männern, die ich im
stillen als die mexikanische Mafia bezeichnete — mit seinem Talent, Spenden
lockerzumachen. Und nicht einmal ganz zu Unrecht; er verstand sich wirklich
darauf, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das war auch der Grund,
warum unser Verwaltungsrat ihn behielt.
Als ich mich wieder umdrehte, war er
weg. Ich ging zum Portal hinüber und trat in den Ausstellungsraum für die Kunst
aus der Kolonialzeit. Die jahrhundertealten Kultfiguren aus jener Zeit, als
Mexiko von den Spaniern beherrscht wurde, machten sich gut in ihren neuen
Schaukästen, und mein Arrangement von drei Kruzifixen wirkte bestechend, fand
ich, auch wenn Frank behauptet hatte, das wäre zuviel der Blutrünstigkeit auf
einmal. Bei dieser Meinungsverschiedenheit hatte ich die Oberhand behalten — ich
war ja schließlich auch der Kustos hier — , und ich war froh darüber.
Befriedigt ging ich weiter, um mich auch in den anderen Räumen noch einmal
umzusehen, ehe ich an meinen Schreibtisch zurückkehrte.
Im Ausstellungsraum für Volkskunst
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