Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
intimen Geheimnisse verschloss Charlotte Brontë in ihrem Herzen? Was waren ihre verborgensten Gedanken und Gefühle und ihre persönlichsten Erinnerungen? Wie war ihre Beziehung zu ihrem Bruder und ihren Schwestern, die alle ebenfalls begabte und ehrgeizige Künstler waren? Wie konnte eine unbekannte Pfarrerstochter, die beinahe ihr ganzes Leben in einem weit abgelegenen Dorf in Yorkshire verbrachte, das Buch
Jane Eyre
schreiben, einen Roman, den alle Welt liebt? Und – was vielleicht am wichtigsten ist: hat Charlotte je selbst die wahre Liebe gefunden?
Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen begann ich, Charlotte Brontës Leben genau zu studieren. Besonders interessierte mich ein sehr wichtiger Aspekt der Brontë-Geschichte, dem bisher kaum größeres Augenmerk gewidmet wurde: Charlottes lange und wechselhafte Beziehung zum Hilfspfarrer ihres Vaters, Arthur Bell Nicholls. Es ist hinreichend bekannt, dass Charlotte Brontë vier Heiratsanträge erhielt, unter denen wohl der berühmteste der Antrag von Mr. Nicholls war. Trotzdem bleibt Arthur Bell Nicholls in den Brontë-Biographien eine beinahe schattenhafte Randfigur, wird im Allgemeinen erst zum Ende hin erwähnt, und auch dann nicht besonders ausführlich. Und doch weiß man, dass Mr. Nicholls acht Jahre lang neben den Brontës wohnte und während dieser Zeit beinahe täglich Kontakt mit ihnen hatte und dass er wohl insgeheim eine tiefe Zuneigung zu Charlotte entwickelte, lange bevor er endlich den Mut aufbrachte, ihr einen Heiratsantrag zu machen.
Hat Charlotte je Mr. Nicholls’ Zuneigung erwidert? Sollte sie ihn heiraten oder nicht? Ah – wie Charlotte selbst sagen würde – darum dreht sich in dieser Geschichte alles. Und ich möchte mir gern vorstellen, dass ihre Gefühle und dieses Dilemma sie inspiriert haben, solche Tagebücher zu schreiben.
Die Geschichte, die Sie gleich lesen, ist wahr. Charlottes Leben ist so faszinierend, dass ich meine Erzählung beinahe ganz auf Tatsachen aufbauen und daraus entwickeln konnte und dass ich nur da Vermutungen anstellen musste, wo ich das für nötig hielt, um den dramatischen Konflikt zu überhöhen oder etwaige Lücken zu füllen. Ab und zu habe ich auch Kommentare und Fußnoten hinzugefügt. Einige Leser mögen vielleicht meinen, das, was im Folgenden vor ihnen entsteht, ähnelte eher einem der Romane Charlotte Brontës als einem Tagebuch im üblichen Sinne, denn Charlotte blicktja auf vergangene Ereignisse zurück und zeichnet sie nicht Tag für Tag auf. Doch ich glaube, dass Charlotte sie so festgehalten hätte, denn sicherlich hätte sie sich mit diesem Stil und dieser Struktur am wohlsten gefühlt.
Hier sind nun also – mit dem höchsten Respekt und der größten Bewunderung für die Frau, die mich dazu angeregt hat –
Die geheimen Tagebücher der Charlotte Brontë
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DIE GEHEIMEN TAGEBÜCHER DER CHARLOTTE BRONTË
ERSTER BAND
EINS
Jemand hat mir einen Heiratsantrag gemacht.
Liebes Tagebuch, dieser Antrag, den ich vor wenigen Monaten erhielt, hat meinen gesamten Haushalt – nein, das gesamte Dorf – in hellen Aufruhr versetzt. Wer ist dieser Mann, der es gewagt hat, um meine Hand anzuhalten? Warum ist mein Vater so sehr gegen ihn voreingenommen? Warum ist die Hälfte der Einwohner von Haworth entschlossen, ihn zu lynchen – oder zu erschießen? Seit dem Augenblick seines Antrags habe ich Nacht für Nacht wach gelegen und über die unzähligen Ereignisse nachgegrübelt, die zu dieser Feuersbrunst geführt haben. Wie um alles in der Welt, frage ich mich, konnten die Dinge so ausufern?
Ich habe vom Glück der Liebe geschrieben. In den geheimsten Winkeln meines Herzens träume ich schon lange von einer vertrauten Beziehung zu einem Mann; jede Jane, das glaube ich, verdient doch ihren Rochester – nicht wahr? Trotzdem hatte ich längst jede Hoffnung aufgegeben, diese Erfahrung einmal in meinem eigenen Leben zu machen. Stattdessen bemühte ich mich um eine literarische Laufbahn; und nachdem ich damit Erfolg hatte, soll ich – muss ich – sie nun aufgeben? Kann eine Frau sich voll und ganz einem Beruf und ihrem Ehemann widmen? Ist es möglich, dass diese beiden so lebenswichtigen Seiten in den Gedanken und Gefühlen einer Frau friedlich nebeneinander existieren? Es muss einfach so sein; denn ich glaube, wahres Glück lässt sich auf keine andere Weise erreichen.
Ich habe schon seit langem die Gewohnheit, mich in Zeiten großer Freude oder mächtiger Gefühlswallungen in die trostreichenGefilde
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