Die Geheimnisse der Toten
gesicherte Erkenntnisse gibt. «Schriftliche Zeugnisse liegen nur fragmentarisch vor; ihre Aufbewahrung oder Entfernung aus Archiven geschah nicht von ungefähr; sie wurden gefälscht oder falsch kopiert und können nicht für bare Münze genommen werden.» Die ergiebigste zeitgenössische Quelle ist Eusebius’ De Vita Constantini , geschrieben von einem Kirchenmann mit ganz eigenem Blickwinkel und eigener Zielsetzung. Dass Konstantin die Aufzeichnungen seiner Geschichte auswählend editierte, wie im Roman beschrieben, entspricht den Tatsachen. Unter diesen Vorbehalten habe ich den historischen Hintergrund dieses Buches möglichst genau wiederzugeben versucht.
Die meisten Figuren der historischen Erzählung haben tatsächlich existiert. Publilius Optatianus Porfyrius war Dichter, Exilant und zweimaliger Präfekt von Rom. Er schrieb tatsächlich Gedichte mit geheimen Botschaften, die uns in vielen Kopien erhalten geblieben sind. Eusebius von Nikomedia war einer der wichtigsten Kirchenmänner während der Regierungszeit Konstantins, Anführer der arianischen Fraktion und späterer Bischof von Konstantinopel. Er war anscheinend ein gewiefter Machtpolitiker, denn nach dem Konzil von Nicäa (aus dem er eigentlich als Verlierer hervorging) waren innerhalb von nur zehn Jahren alle seine prominenten Gegner entweder tot oder in der Verbannung. Asterius der Sophist war Christ, wurde aber wegen seiner Rolle während der Verfolgungen exkommuniziert; trotzdem blieb er als graue Eminenz aktiv in der Fraktion der Arianer. Aurelius Symmachus entstammte einer vornehmen Heidenfamilie und war ein neoplatonischer Philosoph und Politiker. Flavius Ursus stieg im Jahr nach Konstantins Tod zum Konsul auf; wahrscheinlich stand er auch an der Spitze der Streitkräfte. Die Biographien all dieser historischen Gestalten sind sehr lückenhaft, und ich habe mir an manchen Stellen die Freiheit des Schriftstellers herausgenommen, Lücken zu schließen.
Die im Roman auftretenden Angehörigen der Familie Konstantins haben tatsächlich existiert und in etwa das beschriebene Schicksal erfahren. Die von Konstantin dekretierte damnatio memoriae (Verdammung des Andenkens) war so wirksam, dass die Wahrheit über das Ende Crispus’ und Faustas nie ans Licht gekommen ist. Ich habe mich an die am häufigsten kolportierte Version der Ereignisse gehalten.
Ein wenig abgewichen von der Geschichtsschreibung bin ich im Hinblick auf Konstantins zweiten Sohn, bekannter unter dem Namen Konstantin II. Um möglichen Verwechslungen vorzubeugen, habe ich ihn bei seinem ersten Namen Claudius genannt.
Bischof Alexander ist eine fiktionale Schöpfung, die Züge von Eusebius von Caesarea und Lactantius trägt, des christlichen Autors und Lehrers von Crispus. Die «Zitate» Alexanders in Kapitel 18 stammen aus Lactantius’ Divine Institutes . Frei erfunden ist auch Gaius Valerius, dessen beruflicher Werdegang und Rolle aber durchaus typisch sind für seine Zeit.
Konstantin selbst ist und bleibt eine der bedeutendsten und schillerndsten Gestalten der Weltgeschichte. Dass er ein letztes Mal das römische Imperium vereinen konnte, war ein außergewöhnlicher, wenn auch flüchtiger Erfolg. Mit Konstantinopel gründete er eine Stadt, die bis ins 20. Jahrhundert hinein kaiserliche Hauptstadt war. Seine Leistung, das Christentum von einer beargwöhnten Sekte zur Weltreligion zu führen, ist heute immer noch so bedeutsam wie zu seiner Zeit. Der Glaube, zu dem er sich nach der Schlacht an der Milvischen Brücke, also vor siebzehn Jahrhunderten, bekannte, entwickelte sich zur größten Weltreligion. In fast jeder Kirche wird immer noch das Bekenntnis abgelegt, das in Nicäa formuliert wurde und für das Christentum nach wie vor einheitsstiftend ist.
Die Frage meiner Seminararbeit – «Glaubte Konstantin, einer göttlichen Mission zu folgen?» – ist nicht zu beantworten. Symbolik und Narration der frühen Kirche, des kaiserlichen Roms, der Mythen um Herkules, Apollo oder den Sol Invictus sowie anderer zeitgenössischer Kulte überschneiden sich so sehr, dass es unmöglich ist, klare Linien zu ziehen. Ich würde die Frage mit Nein beantworten.
Was uns gegen Konstantin aufbringt, ließe sich der christlichen Kirche insgesamt vorwerfen: die schmerzliche Spannung zwischen hohen Idealen und einer kompromittierten Realität. Konstantins Leben war geprägt von dieser Spannung. Unser Urteil über ihn hängt letztlich davon ab, wie wir über uns selbst urteilen.
sponsored by
Weitere Kostenlose Bücher