Die geheimnißvolle Insel
durch ein einfaches geometrisches Verfahren zu erreichen sein mußte.
Die Colonisten begaben sich demnach auf dem schon bekannten Wege nach dem Plateau hinauf und nahmen an dessen von Nardwesten nach Südosten verlaufenden Rande ihre Aufstellung.
Dieser Theil des Oberlandes überragte die Höhen des rechten Flußufers um nahezu fünfzig Fuß, jene Höhen, welche stufenweise bis nach dem Krallen-Cap am Südende der Insel abfielen. Der Ausblick, welcher den halben Horizont umfaßte, erschien demnach von diesem Cap bis zum Schlangenvorgebirge durch kein Hinderniß beschränkt. Im Süden war der Horizont in seinen unteren Theilen von dem Mondlichte so weit erhellt, um mit hinreichender Genauigkeit abvisirt werden zu können.
Das Südliche Kreuz stellte sich dem Beobachter zu dieser Zeit in verkehrter Lage, mit dem Sterne α, dem nächsten am Südpole, nach unten dar.
Dieses Sternbild liegt übrigens dem antarktischen Pole überhaupt nicht so nahe, wie der Polarstern dem arktischen; ja, der Stern α ist noch gegen siebenundzwanzig Grad von jenem entfernt. Cyrus Smith wußte das und hatte es bei seiner Messung in Rechnung zu ziehen. Er wartete zur Vereinfachung der Operation die Zeit ab, bis jener Stern unterhalb des Poles durch den Meridian ging.
Große Wäsche! (S. 145.)
Nachdem das geschehen, blieb nur noch der erhaltene Winkel zu berechnen, wobei also die Depression des Horizontes zu berücksichtigen und folglich die Höhe des Plateaus festzustellen war. Der Werth dieses Winkels mußte die Höhe des Sternes α und folglich die des Poles über dem Horizonte ergeben, damit aber auch die geographische Breite der Insel, weil diese Breite für jeden Punkt der Erdkugel der Höhe des Pols über dem Horizonte desselben entspricht.
Die nöthigen Berechnungen verschob man auf den nächsten Tag, und schon um zehn Uhr lagen Alle in tiefem Schlafe.
Fußnoten
1 Wirklich geht zu jener Jahreszeit und unter der betreffenden Breite die Sonne um fünf Uhr dreiunddreißig Minuten auf, und um sechs Uhr siebenzehn Minuten unter.
Vierzehntes Capitel.
Messung der Granitwand. – Eine Anwendung des Lehrsatzes von den ähnlichen Dreiecken. – Die geographische Breite der Insel. – Ein Ausflug nach Norden. – Eine Austernbank. – Zukunftsproiecte. – Der Meridiandurchgang der Sonne. – Die Coordinaten der Insel Lincoln.
Am Morgen des 16. April, – am Ostersonntage, – gingen die Colonisten mit Tagesanbruch daran, ihre Leibwäsche und Kleidungsstücke zu reinigen. Der Ingenieur gedachte auch Seife zu kochen, sobald er die dazu nöthigen Rohmaterialien, Fett und Soda, erlangen würde. Die wichtige Frage wegen Erneuerung der Kleidungsstücke sollte ihrer Zeit erwogen werden. Auf jeden Fall versprachen jene noch sechs Monate auszuhalten, denn sie waren von festen Stoffen dauerhaft gearbeitet. Alles hing ja zuletzt von der geographischen Lage der Insel zu andern bewohnten Ländern ab, und diese sollte noch, unter Voraussetzung günstiger Witterung, an dem nämlichen Tage bestimmt werden.
Die Sonne erhob sich am wolkenlosen Horizonte und ließ einen prächtigen Tag erwarten, einen jener schönen Herbsttage, welche man für die letzten Abschiedsgrüße der warmen Jahreszeit halten möchte.
Jetzt galt es also die Elemente der Beobachtung vom Tage vorher zu vervollständigen und die Höhe des Plateaus der Freien Umschau über dem Niveau des Meeres zu berechnen.
»Brauchen Sie dazu nicht ein ähnliches Instrument, wie das, welches Sie gestern benutzten? fragte Harbert den Ingenieur.
– Nein, mein Sohn, antwortete dieser, wir werden auf andere, doch ebenso genaue Resultate ergebende Weise verfahren.«
Harbert, immer begierig sich von Allem genau zu unterrichten, folgte dem Ingenieur, der vom Fuße der Granitwand aus bis zum Uferrande hinschritt. Inzwischen beschäftigten sich Pencroff, Nab und der Reporter mit verschiedenen Arbeiten.
Cyrus Smith hatte eine gerade, etwa zwölf Fuß lange Stange mitgenommen, deren Länge er mit möglichster Genauigkeit nach der ihm bis auf die Linie bekannten eigenen Körpergröße gemessen hatte. Harbert trug ein Senkblei, das ihm der Ingenieur übergeben, d.h. einen einfachen Stein, der an zusammengeknüpfte geschmeidige Pflanzenfasern gebunden war.
Etwa zwanzig Schritte vom Uferrande und gegen fünfhundert von der Granitmauer, welche lothrecht aufstieg, entfernt, befestigte Cyrus Smith die Stange zwei Fuß tief im Sande und gelang es ihm, dieselbe mit Hilfe des improvisirten Senkbleies
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