Die geheimnißvolle Insel
recht leicht entzündlich, vorzüglich als sie der Ingenieur später mit einer Lösung von salpetersaurem Natron, d.h. dem gewöhnlichen Salpeter, den die Insel in mehreren Lagern darbot, imprägnirt hatte.
An diesem Abend speisten die in dem Mittelraum versammelten Colonisten recht mit Behagen. Nab hatte Agutifleisch gekocht und eine Suppe der bereitet, Cabiaischinken aufgeschnitten und einige Knollen von »
Caladium makrorhizum
« abgesotten. Letztere Pflanze zählt zu den Araceen und wächst in der Tropenzone baumartig. Ihre Wurzelknollen sind von ausgezeichnetem Geschmack, sehr nahrhaft und der Substanz sehr ähnlich, welche in England unter Namen »Portlandsago« verkauft wird. In gewisser Hinsicht kann sie wohl das Brod ersetzen, welches den Colonisten der Insel Lincoln noch abging.
Nach Beendigung des Abendessens gingen Cyrus Smith und seine Genossen noch ein wenig am Strande spazieren. Es war um acht Uhr und die Nacht versprach schön zu werden. Noch schien der Mond nicht, der fünf Tage vorher voll gewesen, doch färbte sich der Horizont schon mit jenem sanften Silberlichte, welches man die Mondmorgenröthe nennen könnte. Am südlichen Himmel erglänzten die circumpolaren Sternbilder, vor allen das Südliche Kreuz, welches der Ingenieur einige Tage vorher vom Franklin-Berge aus begrüßt hatte.
Eine Zeit lang beobachtete Cyrus Smith das glanzvolle Sternbild, das an seinem oberen und unteren Theile zwei Sterne erster, zur Linken einen zweiter und zur Rechten einen Stern dritter Größe hat.
Nach einigem Besinnen begann er:
»Haben wir heute nicht den 15. April, Harbert?
– Ja, Mr. Cyrus, erwiderte dieser.
– Nun, wenn ich nicht irre, ist dann morgen einer der vier Tage im Jahre, an welchem die wahre Zeit mit der mittleren bürgerlichen Zeit zusammenfällt, d.h. daß die Sonne morgen bis auf einige Secunden genau zu der Zeit durch den Meridian geht, zu welcher richtig gehende Uhren Mittag zeigen. Sollte also schönes Wetter sein, so gedenke ich morgen den Längengrad, unter dem wir uns befinden, so gut als möglich festzustellen.
– Ohne Instrumente, ohne Sextanten? fragte Gedeon Spilett.
– Ja, antwortete der Ingenieur. Da die Nacht klar ist, so möchte ich auch gleich heute versuchen, unsere Breitenlage durch Berechnung der Horizonthöhe des Südlichen Kreuzes, d.h. des Südpoles zu erfahren. Sie begreifen, meine Freunde, daß es, um sich auf weiter gehende Einrichtungen einlassen zu sollen, nicht genügt, zu wissen, daß dieses Land eine Insel ist; wir müssen uns auch darüber klar zu werden suchen, in welcher Entfernung entweder vom Festlande Amerikas, Australiens, oder auch von einem größeren Archipel des Pacifischen Oceans diese liegt.
– Gewiß, meinte der Reporter, denn statt eines Hauses könnte es sich uns empfehlen, ein Schiff zu bauen, wenn wir zufällig nur etwa hundert Meilen bis zu einer bewohnten Küste hätten.
– Eden deshalb, fuhr Cyrus Smith fort, will ich heute Abend die Breite der Insel Lincoln und morgen Mittag deren Länge zu erfahren versuchen.«
Hätte der Ingenieur einen Sextanten besessen, ein Instrument, das die Winkeldistanz zweier Spiegelbilder mit großer Genauigkeit zu messen gestattet, so wäre dieses Vorhaben leicht genug ausführbar gewesen. An diesem Abend hätte er durch die Polhöhe, am nächsten Tage durch die Beobachtung des Meridiandurchganges der Sonne die Coordinaten der Insel erhalten. In Ermangelung eines Instrumentes mußte er sich eben zu helfen suchen.
Cyrus Smith ging nach den Kaminen zurück. Dort schnitzte er beim Scheine des Herdfeuers zwei kleine flache Lineale, die er an ihren Enden in der Weise mit einander verband, daß sie eine Art hölzernen Zirkel darstellten, dessen Schenkel geöffnet und geschlossen werden konnten. Die Achse desselben bildete ein kräftiger Akaziendorn, den man an dem vorräthigen dürren Holze fand.
Mit dem fertigen Instrumente kam der Ingenieur nach dem Strande zurück; da es aber nothwendig ist, die Polhöhe über einen ganz glatten Horizont hin zu visiren, das Krallen-Cap jedoch den südlichen Horizont verdeckte, so mußte er eine geeignetere Position aufsuchen. Die beste wäre freilich an der südlichen Uferspitze selbst gewesen, diese zu erreichen hätte man aber die eben ziemlich wasserreiche Mercy überschreiten müssen.
Cyrus Smith beschloß deshalb, seine Beobachtung von der Höhe der Freien Umschau aus anzustellen und deren Lagedifferenz zu dem Niveau des Meeres später in Rechnung zu ziehen, was
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