Die Geier
jedoch bald werden.
Davids Ruf wurde besser und besser. Ungeachtet ei-
niger Bedenken führte er eine Art >Kundendienst< ein.
Systematisch informierte er die nahen Verwandten des
>Operierten< über den Verwendungszweck von dessen
Organen und gab ihnen damit gewissermaßen das Ge-
fühl, es sei ihm gelungen, ihre Tochter oder ihren Ehe-
mann zu neuem Leben zu erwecken und den Tod in
gewisser Hinsicht zu umgehen. David verstand es, Nie-
derlagen in Siege und Trauer in Hoffnung zu verwan-
deln.
Dieser wachsende Erfolg brachte Steve Odds ganz of-
fensichtlich in Zorn. Der Krieg der Sammler war ange-
sagt. Es wurde für David immer schwieriger, die fälligen
Raten zu zahlen, die ihn gehörig schröpften.
Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Zusammenar-
beit waren Toland und Roussel mit einer unglaublichen
Situation konfrontiert: Es gelang ihnen nicht mehr, die
entnommenen Organe zu verkaufen. Der Cherokee ra-
ste von einer Klinik zur anderen, doch überall bekam
David die gleiche abschlägige Antwort zu hören: »Tut
uns leid, wir brauchen nichts.« Oder noch hinterlistiger:
»Sie bieten uns nicht das an, was wir brauchen.« Da-
vid mußte sich mit einigen Notfällen und seltenen Fäl-
len von Übereinstimmung zufriedengeben. Ihr Team
war von nun an dem Zufall ausgeliefert.
Seltsamerweise hörte Odds genau zu dieser Zeit auf,
David zu bedrängen. Das bittere Ende nahte, und das
wußte er. Bald würde der Tag kommen, an dem David
den Entschluß fassen müßte, einen Teil seiner Ausrü-
stung zu verkaufen, um seine Schulden bezahlen zu
können. Und da er dann noch weniger konkurrenzfähig
wäre, würden seine finanziellen Probleme noch größer
werden. Schon jetzt genoß Odds den Augenblick, wo
der völlig ruinierte David Toland in sein Büro gekrochen
käme und um einen Job in seiner Organisation betteln
würde.
Nach einer kurzen Unterbrechung fing es erneut an zu
regnen. David öffnete das über zwei Aluminiumschie-
nen gleitende große Fenster. Der Spalt war nicht einmal
breit genug, um einen Menschen hindurchzulassen. In
diesem Haus - wie in allen anderen neu errichteten
Wohntürmen der Hauptstadt - befürchtete man
Selbstmorde. Aber David hatte keineswegs die Absicht,
seinem Leben ein Ende zu setzen. Er haßte ganz einfach
nur die frische trockene Luft, die die Klimaanlage ins
Zimmer blies. Er näherte sich dem Fenster, legte beide
Hände auf die Scheibe und hielt das Gesicht unter die
Regentropfen, die vom Metallbeschlag abprallten.
In drei Tagen war die nächste Rate fällig. Er hatte kei-
nen einzigen Pfennig mehr, und der Scanner meldete
keinen einzigen Verkehrsunfall.
Erneut schloß David das Fenster. Weiter unten brei-
tete sich die graue verregnete Stadt aus. David kannte
diese erstaunlichen Momente dumpfer Stille, diese paar
Stunden vorübergehender Aufhellung, in denen sich
die Menschheit gegen ihn zu verschwören schien, um
nicht in seiner Reichweite sterben zu müssen.
Überall warteten die Sammler, belauerten die Stadt
wie Geier ...
Erstes Kapitel
Die Verbindung der westlichen Umgehungsstraße mit
den Schnellstraßen entlang des Flusses stellte die Ver-
antwortlichen dieses Straßensektors vor unlösbare Pro-
bleme. Die Lösungen, die sie in Betracht zogen, stießen
bei den Gemeindepolitikern stets auf heftigen Wider-
stand. Die Umgehungsstraße müßte ihren Benutzern
unbedingt einen direkten Zugang zu den Straßen ent-
lang des Flusses, dem Verkehrskreuz, der Autobahn
und sogar zu den Außenbezirken ermöglichen. Ein äu-
ßerst gewagtes Projekt, das einer der Ingenieure schlicht
als >psychotische Verbindung< bezeichnete. Von einigen Wortgefechten abgesehen, kam es allerdings nicht zum
offenen Kampf zwischen den Spezialisten und Politi-
kern. Die Umgehungsstraße sollte in der Nähe des Ver-
kehrskreuzes enden. Über alles andere machte man sich
keine großen Gedanken.
Das Prinzip eines Engpasses wurde einstimmig ak-
zeptiert. Ein Engpaß ermöglichte gleichzeitig eine Um-
gehung des stark abschüssigen letzten Teilstücks und
der überlasteten bereits vorhandenen Fahrbahnen. Eine
Art Drehkreuz sollte alle verrückten Raser, denen die
Geschwindigkeit zu Kopf stieg, daran hindern, wie ein
Pfeil auf die ständig verstopfte Kreuzung zuzurennen.
Um Platz zu gewinnen, konnte man weder die Seine
zubetonieren noch die Wohntürme abreißen, die von
nun an auf der anderen Seite der Fahrbahn emporrag-
ten, sondern man mußte das
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