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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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deinen Bruder! Wir gehen nach Hause.«
    »Jetzt schon? Aber wir sind doch eben erst gekom-
    men!«
    »Tu, was ich dir sage, bitte!«
    »Ach! Das ist aber nicht lieb von dir!«
    Das Mädchen biß sich auf die Lippen, als bereute es
    diesen letzten Satz. Einen Moment lang sah es seinen
    Vater genau an, öffnete den Mund, ohne jedoch ein
    Wort zu sagen, und rannte zu dem älteren Bruder, um
    ihm zu sagen, daß der Spaziergang bereits zu Ende sei.
    Während der Junge schmollte, mußte die Kleine ir-
    gendwie erkannt haben, daß mit ihrem Vater etwas
    nicht in Ordnung war. Brav trippelte sie auf dem
    Heimweg neben ihm her. Der Schmerz hatte sich auf
    die rechte Körperseite konzentriert. Der Mann war von
    dem Gefühl, dem Tod ganz nahe zu sein, so sehr über-
    wältigt, daß er nicht den Mut fand, seiner Frau gegen-
    überzutreten. Aber vor ihr wollte er sich auch keine
    Blöße geben. Vor dem Haus umarmte er seine Kinder
    und ging dann zu seinem Wagen, ohne sich noch ein-
    mal umzudrehen.
    Nach Hause fahren, sich hinlegen, schlafen. Morgen
    würde er anrufen, sich entschuldigen und erklären, was
    mit ihm los war. Und sich bei seinem Hausarzt einen
    Termin geben lassen.
    In der Tunnelausfahrt erreichte der Schmerz seinen
    Höhepunkt. Der Mann riß den Mund auf, um laut zu
    schreien. Das bereits von zwei Infarkten angegriffene
    Herzgewebe in seiner Brust zerriß langsam.
    Der Wagen schleuderte zur Seite, streifte die Leit-
    planke und kam auf die mittlere Fahrbahn zurück. Mit
    schmerzverzerrtem Gesicht beugte sich der Mann über
    das Lenkrad und betätigte unbeabsichtigt die Hupe.
    Sein Fuß drückte das Gaspedal nieder.
    Das Herz schlug unregelmäßig. Plötzlich riß ein Fäd-
    chen der Mitralklappe. Der Mann wurde bewußtlos.
    Auf dem abschüssigen Straßenstück gewann der Fiat
    an Geschwindigkeit. Seltsamerweise reihte der Wagen
    sich erneut zwischen einen Lastkraftwagen und einen
    Pkw ein, ohne mit diesen zu kollidieren. Wie ein Pfeil
    schoß der Wagen an den Geschwindigkeitsbegren-
    zungsschildern vorbei. Der Fahrer des Lastwagens
    hupte mehrmals.
    David Toland wollte sich gerade vom Fenster abwen-
    den, als er mit einem Mal das kleine rote Auto bemerk-
    te. Er runzelte die Stirn, faltete die Hände und ließ die
    Gelenke knacken. Sein durchdringender Blick folgte der
    irren Fahrt des Fiat. Angesichts der nassen Fahrbahn
    täte dieser Kamikazefahrer gut daran, jetzt zu brem-
    sen ...
    »Wetten, daß es jetzt kracht«, murmelte David.
    Ein mittelmäßiger Fahrer in einem Durchschnittswagen
    konnte nicht schneller als mit sechzig Stundenkilome-
    tern in diese Kurve gehen. Der Bremssektor war so an-
    gelegt, daß auch die Waghalsigsten, die Ungeschickte-
    sten und gleichzeitig Hochmütigsten gewöhnlich mit
    erheblichem Blechschaden davonkamen. Die Asse am
    Steuer durften von sich behaupten, die Kurve mit hun-
    dertzwanzig Stundenkilometern zu meistern, vorausge-
    setzt, sie waren im Besitz erstklassiger Stoßdämpfer, ei-
    nes schnell reagierenden Motors und einer ungewöhn-
    lichen Geschicklichkeit. Mit seinem Cherokee war das
    David Toland mehrfach schon gelungen. Der Fiat je-
    doch verfügte über schlechte Stoßdämpfer, einen trägen
    Motor und hatte vor allem keinen Fahrer mehr am Steu-
    er.
    Eine Sekunde lang wandte sich David Toland von der
    roten Rakete ab, um sich nach einer möglichen Auf-
    prallstelle umzusehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die
    Leitplanke dem Zusammenstoß standhalten und den
    Wagen auf die Fahrbahn zurückschleudern würde, war
    gleich Null. Schließlich fiel sein Blick auf die Wagenko-
    lonne, die sich unten am Fluß entlang voranschob.
    »Um Himmels willen ...!«
    Dieses verwirrende Labyrinth aus unzähligen Fahrbah-
    nen, Auffahrten, Signalbrücken und Betonstrukturen,
    diese paranoide Architektur wies einige wunde Punkte
    auf. Die kreisförmig angelegte Kurve, die gefährlich
    über die Schnellstraßen hinausragte, war ein solcher
    Schwachpunkt, und der Fiat steuerte geradewegs dar-
    auf zu. Mit voller Wucht prallte der Wagen gegen die an
    dieser Stelle doppelt gesicherte Leitplanke, durchbrach
    die Stahlträger und stürzte ins Leere. Der Kopf des
    Mannes zerschmetterte an der Windschutzscheibe, die
    Lenksäule bohrte sich ihm wie eine Lanze in den Unter-
    leib.
    Die Limousine zermalmte die Fahrerkabine eines Lie-
    ferwagens, dessen Fahrer vergeblich versuchte, sich mit
    einem Plastikfeuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Der
    Schädel des Lieferanten barst, und der

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