Die Geier
folgen,
und keiner der beiden Chirurgen konnte wirklich sicher
sein, den Verhaftungen zu entgehen, zu denen es in der
Folge kommen würde. Das ganze Gebäude, das Reich
des Alexander Sirchos, würde zusammenstürzen wie
ein Kartenhaus. Alle Komplizen der Organisation wür-
den unausweichlich in diesen höllischen Strudel hin-
eingezogen werden.
Plötzlich trat Gaborit an den Operationstisch und öff-
nete die Brust der jungen Frau, wobei er es sorgfältig
vermied, mit den bereits bestehenden Narben in Berüh-
rung zu kommen. Zorski näherte sich und stellte den
schlechten Zustand des beschädigten Herzmuskels fest.
Er sah, daß seine Nähte, im Gegensatz zu Russels An-
nahme, nicht nachgegeben hatten, sondern daß sich der
Riß weiter oben, am Rande eines breiten blutleeren Ge-
webeteils befand. Gaborit tauchte mit beiden Händen in
Pamelas Brust, betastete die Nähte der Dacron-Klappe
und warf Zorski einen bewunderungsvollen Blick zu.
Dann stellte er sich wieder aufrecht hin und bat um
neue Handschuhe.
»Ein wahres Wunder, daß dieses Herz so lange funk-
tioniert hat«, sagte er. »Es sind noch weitere Gewebe-
teile abgestorben.«
Er gab den Befehl, die Herz-Lungen-Maschine unver-
züglich in Gang zu setzen. Sevrin führte den Befehl aus.
Es war keine Seltenheit, daß im Saint-Louis ein leben-
der Patient mit offenem Brustkorb und einem Loch an-
stelle des Herzens auf dem Operationstisch lag, doch
diesmal hielt jeder den Atem an. Der in Pamela Sirchos
verliebte Assistenzarzt schwitzte heftig.
Gaborit begann, das neue Herz anzunähen. Es war
etwas kleiner als das Original. Selbstverständlich hätte
Gaborit auch ein größeres Herz auswählen können,
doch er hatte diesen starken Muskel vorgezogen. Er
stammte von einem jungen Sportler, der auf einem
Jahrmarkt auf tragische Weise ums Leben gekommen
war, als an einem Schießstand eine Kugel von der Me-
tallwand zurückprallte, durch das rechte Auge in das
Gehirn drang und dort für eine irreparable Beschädi-
gung sorgte. Sein Herz war so gesund, daß es noch
hundert Jahre lang schlagen könnte. Die Analysen hat-
ten ergeben, daß die Gewebestrukturen zwar nicht völ-
lig identisch waren, die Blutgruppen aber perfekt über-
einstimmten. Gaborit fertigte makellose Nähte an. Nur
einen Moment lang regte er sich über das Blut auf, das
sich in den Kammern ansammelte.
»Klemmen prüfen und Blut entfernen!« knurrte er
hinter seinem Mundschutz hervor.
Zorski übernahm diese Aufgabe höchstpersönlich.
Gaborit arbeitete schnell, mit präzisen und sicheren
Handgriffen. Zorski sah, daß sein französischer Kollege
sehr vorsichtig mit dem neuen Herzen umging. Er be-
rührte es respektvoll und äußerst behutsam. Zorski
legte stets großen Wert darauf, wie ein Chirurg mit ei-
nem bloßliegenden Organ umging. Danach beurteilte er
seine Kollegen. Im Falle Gaborits hatte er sich nicht ge-
täuscht.
Das neue Herz war an seinem Platz. Gaborit stellte
sich aufrecht hin. Eine Krankenschwester wischte ihm
den Schweiß von der Stirn.
»Überprüfen Sie bitte meine Arbeit!« bat er Zorski.
Der amerikanische Chirurg trat näher und betrachtete
jede Naht sehr genau. Er hätte es nicht perfekter tun
können. Er richtete sich auf und hob die Faust mit em-
porgehaltenem Daumen.
Einen Augenblick lang entfernte Gaborit sich vom
Operationstisch und kam mit dem Defibrillator zurück.
Zorski begann die Klemmen zu entfernen, die den Blut-
fluß unterbrachen. Sevrin stand in der Nähe des Sauer-
stoffgeräts, und sein Assistent hatte sich soeben in die
Hose gemacht. Es herrschte keine wirkliche Stille. Im
Raum gab es ein Murmeln, ein Brummen aus etwa zehn
Mündern, die unentwegt denselben Psalm beteten. Das
Blut verließ den Derivator und ergoß sich in die Herz-
kranzarterien. Nach einem kurzen Ruck begann das
Herz des jungen Sportlers wieder zu schlagen, so als
hätte es nie damit aufgehört.
Gaborit richtete sich auf und schaute Zorski an. Die
Augen des Amerikaners funkelten. Dann nähte Gabo-
rit, so wie auch Zorski das zu tun pflegte, Pamela Sir-
chos' Brustkorb eigenhändig wieder zu.
Erschöpft, völlig außer Atem verließ er den Opera-
tionssaal, ging den Flur hinauf und blieb plötzlich vor
einem Geier stehen, der ihm den Weg versperrte. Der
Mann, der mit der traditionellen schwarzvioletten Uni-
form von Steve Odds' Geiern bekleidet war, verbarg das
Gesicht hinter dem quecksilberfarben getönten
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