Die Geier
setzte David seine Arbeit
fort. Nur ab und zu erteilte er Roussel einen kurzen Be-
fehl, den dieser sogleich ausführte. Wie gebannt sah
eine Gruppe Neugieriger ihnen bei der Arbeit zu. Sie
waren sich bewußt, daß sie einem sehr ungewöhnlichen
Ereignis beiwohnten, das weit über die Bedeutung des
Verkehrsunfalls hinausging. Äußerst behend begab sich
David von einem Verletzten zum anderen. Aber sein
Verdienst errechnete er niemals nach der Zahl der toten
Organspender, sondern nach der Zahl der geretteten
Leben. Es war nun einmal so, daß die einen sterben
mußten, damit die andern leben konnten. In diesem
Kreislauf war David nichts weiter als ein Mittelsmann.
Die Schnelligkeit, mit der Toland seine Arbeit ausführte,
war verblüffend. Während Roussel noch damit beschäf-
tigt war, die Körper nach dem Grad ihrer Verletzungen
einzuordnen und Tests durchzuführen, begann David
bereits mit dem Schneiden. Er legte die Wundhaken an,
befestigte die Klammern, um einen Blutstau zu verhin-
dern, entnahm das gewünschte Organ und legte es in
den Konservierungskasten.
»Mein Gott!« murmelte ein Schaulustiger. »Dieser
Kerl arbeitet so schnell, daß er am Ende noch einen Un-
verletzten aufschneiden wird ...«
Einen Augenblick lang jedoch zögerte David: Die
Frau, die vor ihm auf dem Asphalt lag, trug ein buntes
Kleid, das ihr über die nackten Beine hochgerutscht
war. Er kniete neben ihr nieder und riß den leichten
Stoff entzwei. Unter dem Kleid kam ein schwarzer Bü-
stenhalter zum Vorschein. Der schwergewichtige Mann
der Frau stand neben ihnen. Sein Gesicht zeigte Ver-
brennungen, und er stand unter Schock.
»Nehmen Sie ihr die Augen raus!« stammelte er. »Ich
war verrückt nach ihren Augen. Ich würde sie so gern
wiedersehen ...«
Ohne zu antworten, gab David Roussel ein Zeichen.
Unverzüglich setzte Roussel der Frau den Defibrillator
auf die Brust. Der reglose Körper zuckte krampfartig
zusammen. Das kraftlos gewordene Herz fand zu sei-
nem normalen Rhythmus zurück und ließ das gestockte
Blut in die Arterien zurückfließen. Die Frau öffnete die
Augen und versuchte sogleich, ihre nackten Brüste zu
bedecken. Toland richtete sich erneut auf.
»Ihre Frau lebt noch, mein Lieber. Bringen Sie sie
schnellstens zur Untersuchung in ein Krankenhaus.«
»Gott sei Dank«, murmelte der Mann.
Der Mann suchte nach Worten, um sich zu bedanken,
aber da beugte sich David bereits, ungefähr zehn Meter
weiter entfernt, über die Leiche eines jungen Mannes,
der durch die Windschutzscheibe seines Wagens ge-
schleudert worden war, um dann am Kühlergrill eines
Sattelschleppers zu zerschellen. Roussel wollte bereits
erste Analysen vornehmen, aber David hielt ihn zurück
und deutete auf die rote Plakette an der Brust des Toten.
Kein Organspender. Rasch prüfte David das Ausstel-
lungsdatum. Die Plakette war völlig ordnungsgemäß.
Roussel verzog das Gesicht. Das Irvin-Baylor-Kranken-
haus benötigte dringend eine Leber der Blutgruppe AB
negativ, und genau dieser junge Mann war Träger die-
ser äußerst seltenen Blutgruppe. Und die Kunden des
>Baylor< zahlten gut. Man müßte diese Plakette nur entfernen ...
Aber schon war David wieder mit einem anderen
Körper beschäftigt. Etwas weiter weg, und noch schnel-
ler.
Als Steve Odds, der Gewerkschaftsführer, die Tür zum
Versammlungsraum öffnete, spielte Milan nach wie vor
mit seiner Pikdame. Nervös fuhr Odds sich mit der
Hand durch die wenigen Haare, die ihm geblieben wa-
ren und in fettigen Strähnen bis tief in den Nacken hin-
gen. Sein Blick glitt über die leeren Tische und die Bild-
schirme, auf denen immer noch der allgemeine Aufruf
zu lesen war. Schließlich starrte er Milan an.
»Sie sind hiergeblieben?«
Milan verzog den Mund.
»Sieht so aus.«
Odds räusperte sich. In Milans Gegenwart fühlte er
sich stets unwohl in seiner Haut. Es gab nur wenig Leu-
te, denen es gelungen war, ihn zu beeindrucken, aber
Milan hatte es immer wieder geschafft. Ständig redete
Odds sich ein, daß Milan wie alle anderen auch, nur ein
einfacher Angestellter der Z.S.A. war. Mit dem einzi-
gen Unterschied, daß Milan ein wenig erfahrener und
erfolgreicher war als die anderen Sammler. Ständig
sagte Odds sich, daß er, der Führer der Gewerkschaft
(der den Direktoren der Muttergesellschaft gleichge-
stellt war, dessen Autorität sich sogar die medizinischen
Kapazitäten fügten und vor dessen Wutanfällen jeder
sich
Weitere Kostenlose Bücher