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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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Piloten ein Zeichen, weiter nach Osten in Richtung Küste zu fliegen. Er rief die Einsatzleitung und meldete ihren neuen Kurs.
    »Verstanden Flugobs 1, Ende.« Polizeirätin Katrine Bergman legte das Funkgerät auf das Dach ihres schwarzen Ford Mondeo.
    Sie hatte die Einsatzleitung auf dem Parkplatz am Westwald postiert. Das große Aufgebot an Streifenwagen hatte viele Schaulustige angezogen; der Parkplatz war schon am Morgen ordnungsgemäß abgesperrt worden.
    Sie trocknete sich den Schweiß von der Stirn und fuhr sich mit der Hand durch ihre dunklen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare.
    »Gibt es etwas Neues von P1 im Villenviertel?«
    Kriminalkommissar Tom Schæfer schüttelte missmutig den Kopf. Er war ein kleiner, blassgesichtiger Mann Ende dreißig mit melancholischen Augen, deren linkes ein wenig nach unten hing. »Noch nicht. Sie befragen immer noch die Nachbarn. Die Zeitungsausträger konnten leider auch nichts berichten.«
    »Es muss doch irgendjemanden geben, der einen Jungen im Pyjama gesehen hat, der zudem seine Schultasche dabeihatte.«
    Tom wich ihrem Blick aus und nickte bloß.
    »Wie weit seid ihr noch vom Wald entfernt, Henrik?«
    Sie warf dem übergewichtigen Mitglied der Heimatschutztruppe einen fragenden Blick zu. Trotz der großen Wärme war seine Uniform pflichtschuldig zugeknöpft.
    »Bis zum Sonnenuntergang werden wir mit den Wiesen fertig sein«, versicherte er.
    »Ausgezeichnet.«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete die topographische Karte, die auf der Kühlerhaube ausgebreitet lag. Ihr schwarzes T-Shirt verriet, wie durchtrainiert sie war. Die Gebiete, die sie in den letzten Tagen durchkämmt hatten, waren schraffiert. Nun konzentrierten sie sich auf den nördlichen Teil des Waldgebiets. »Was ist mit dem Wald?«
    Der Leiter der Hundepatrouille kniff die Lippen aufeinander. »Es ist ein sehr großes Areal, außerdem werden die Hunde langsam müde.«
    »Ich will nicht, dass er noch eine weitere Nacht dort liegt. Wenn es sein muss, zieht die Hunde der Antiterroreinheit hinzu.«
    »Gehen wir immer noch davon aus, dass er noch am Leben ist? Ich meine, die anderen Jungen …«
    »Oliver lebt, und wir werden ihn finden, okay?«
    Sie sah nacheinander die Männer an, die sich um sie gruppiert hatten. Alle nickten ihr zu. Im nächsten Moment dröhnte ein Hubschrauber über ihren Köpfen. Er hatte die Sonne im Rücken und sah aus wie ein kreisender Geier, der seine Beute ins Visier nimmt.
    »Unser Heli ist doch über dem Fjord, oder?«, brüllte Katrine gegen den Lärm an.
    »Das ist der Hubschrauber von TV 2 «, entgegnete Tom.
    »Sorg dafür, dass sie sofort wieder verschwinden. Wenn sie es nicht freiwillig tun, dann schieß sie ab.«
    Tom zögerte eine Sekunde, dann nickte er und lief zum nächsten Streifenwagen, um das Polizeipräsidium zu verständigen. Der Hubschrauber hatte inzwischen wieder an Höhe gewonnen.
    Katrines Funkgerät knatterte. »Hundestaffel 1 an Einsatzleitung.«
    Sie nahm das Funkgerät vom Dach. »Hundestaffel 1, was gibt’s?«
    Es war der Einsatzleiter der ersten Hundestaffel. »Wir haben ihn … Wir haben den Jungen gefunden.« Katrine kannte ihn als erfahrenen Beamten, dennoch hatte seine Stimme einen erstickten Klang. »Komm her, und sieh es dir selber an. Ein paar hundert Meter nördlich der Einsatzleitung. Am Waldsee.«
     
    Das meterhohe Schilf wiegte sanft in der Abendbrise. Die Dämmerung senkte sich über den ausgetrockneten Waldsee. Katrine kam gemeinsam mit ihrem Leuten am Fundort an. Die Hundeführer hielten ihre Hunde an der Leine. Pfeifende Geräusche drangen durch den Wald. Das war kein gutes Zeichen. Ein solches Pfeifen war nur zu hören, wenn es nach Tod roch.
    Katrine bat Tom, ihr zu folgen. Gemeinsam gingen sie den Trampelpfad entlang, der durch das Schilf führte. Sie bewegte sich mit äußerster Vorsicht, um etwaige Spuren nicht zu verwischen. Ein Summen kam ihnen entgegen, wie von Hunderten kleiner Hubschrauber. Plötzlich blieb Katrine stehen. Vor ihr war das Schilf heruntergebogen und gab eine kleine Lichtung frei. Oliver ruhte auf einem Lager, das aus abgerissenen Gräsern bestand. Er hatte die Hände auf der Brust gefaltet. Er trug einen Pyjama. Die Schultasche lag wie ein Kissen unter seinem Kopf. Katrine trat zu ihm und ging in die Knie. Seine Augen waren geschlossen, das Gesicht wie Pergament, das im bläulichen Abendlicht schimmerte. Die Wärme hatte den Leichnam, den die Fliegen begierig umschwirrten, mürbe gemacht.

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