Die Geisel
du dich zumindest heute ein bisschen zusammennehmen?«
Ihre Mutter kniete vor dem Herd und blickte erstaunt auf.
»Wie meinst du denn das?« Sie trug Topfhandschuhe an beiden Händen und sah aus, als wären ihr Flossen gewachsen. Angesichts ihrer feuerroten Haare hätte man meinen können, ein Pinguin stünde in Flammen. »Das Rezept ist schließlich nicht von mir, sondern von einem Sternekoch. Deshalb brauchen wir auch mehr Essig für die Marinade.«
Ihre Mutter hatte entschieden zu viel Freizeit, und Maja graute es bereits, wenn sie nur daran dachte, wie es erst nach der Entbindung sein würde.
»Lass uns doch einfach mit dem Essen anfangen, Mama. Das Büffet auf der Terrasse ist schon einen Kilometer lang. Wer braucht da noch Schweinefilet im Pelzmantel?«
»Im Speckmantel!«
»Sag ich doch.«
»Außerdem stehen draußen erst die Antipasti, mein Schatz! Nein, nein, das Hauptgericht muss unbedingt sein, und zum Dessert gibt es …«
»Was auch immer! Bei dieser Hitze … will doch niemand … ein Schwein essen.«
Maja glaubte, sich übergeben zu müssen. Mal wieder. Ihre Ärztin und Freundinnen hatten ihr versichert, dass die Übelkeit nach drei Monaten verschwinden würde. Alle hatten gelogen.
Wenn sie nur den penetranten Bratengeruch loswurde und auf die Terrasse ging, dachte sie, würde der Brechreiz nachlassen. Sie schaffte es nur bis zur Gästetoilette.
Das Stimmengewirr der vielen Gäste summte durch die laue Sommernacht und verband sich mit der Musik, die Stig von der Stereoanlage aus steuerte. Das Büffet wurde im Handumdrehen geplündert, und selbst das ummantelte Spanferkel musste dran glauben.
Maja stand am Gabentisch und packte die Geschenke aus. Sie hatte nichts gegessen, aber die Antihistaminika halfen gegen die Übelkeit. Sie waren das einzige Medikament, das sie noch einnahm. Rohypnol, Ephedrin und sämtliche Morphinpräparate gehörten der Vergangenheit an. Was einzig und allein an der Schwangerschaft lag. Ihr früherer Missbrauch, den sie als »Berufskrankheit« verbucht hatte, war einem hemmungslosen Konsum von Kinder-Milchschnitten gewichen.
»Was für ein gelungenes Fest, Maja«, sagte ihre Mutter, während sie mit zwei leeren Schüsseln an ihr vorbeiging.
»Danke, Mama … Für alles.«
Sie tauschten einen kurzen Blick, ehe die Mutter im Haus verschwand. Sie schaute über die Gästeschar hinweg. Es war wirklich ein gelungenes Fest, das erste im neuen Haus. In ihrem gemeinsamen neuen und wunderbaren Haus, das im Herzen des Viertels lag, in dem sie groß geworden war. Mit Fachwerk und Stockrosen. Die Rosen waren zwar der großen Hitze zum Opfer gefallen, aber das machte jetzt nichts.
Außer den alten Freunden und engsten Familienangehörigen hatte sie ihre Kollegen eingeladen. Sowohl die, mit denen sie in Dr. Keld Skouboes Praxis zusammenarbeitete, also auch diejenigen aus den verschiedenen Krankenhausabteilungen, die sie im Rahmen ihrer Ausbildung durchlaufen hatte. Die meisten hatten ihre Kinder mitgebracht, so dass der Garten bis zum dahinter entlangfließenden Bach voller Menschen war. Sie hoffte, dass der kleine Walther in ihrem Bauch etwas von dem munteren Treiben mitbekam. Walther die Walnuss, wie sie ihn nach dem ersten Ultraschallbild genannt hatten. Walther, nach ihrem toten Großvater, den sie immer noch vermisste. Und Walnuss, weil er auf dem grobkörnigen Ultraschallbild eben mehr als alles andere wie eine Walnuss ausgesehen hatte.
»Das ist von mir und Hans Henrik.«
Jeanette nickte dem Kästchen zu, das Maja in der Hand hielt. Maja war zu sehr in Gedanken gewesen, um sich mit seinem Inhalt zu beschäftigen - bis jetzt. »Ach, vielen Dank … Ein elektrisches Messer.«
Sie drehte das Kästchen aufmerksam hin und her.
»Das war Hans Henriks Idee. Eigentlich sollte es ein Witz sein.«
Als Jeanette lächelte, offenbarte sie eine große Lücke zwischen den Vorderzähnen.
»Ein Messer von einem Gerichtsmediziner, wie passend«, entgegnete Maja und stellte das Kästchen zurück auf den Gabentisch.
Sie kannte Jeanette seit der Grundschule. Die größte Leistung ihres Lebens bestand darin, einen Mann mit passendem Geldbeutel geheiratet zu haben, wenngleich diese Leistung dadurch ein wenig gemindert wurde, dass Maja die beiden miteinander verkuppelt hatte.
»Hans Henrik bedauert sehr, dass er nicht mitkommen konnte, aber er hat gerade mit dieser schrecklichen Sache zu tun.«
Maja legte keinen Wert auf die Fortsetzung der Geschichte und nickte bloß, während sie
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