Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
betrachtet ihn eine geraume Weile, dann öffnet er ihn sorgfältig und nimmt das Schreiben aus dem Umschlag. Noch im Wagenhof liest er den langen Brief, den ihm seine geliebte Conchita geschrieben hat. Nur das Zittern der Briefbögen verrät seine Gefühle. Während er die Treppe hinaufgeht, hinterlassen seine Schritte in der Staubschicht, die alles bedeckt, eine deutliche Spur. Oben angekommen, stellt er seinen winzigen Koffer ab. Ein niedergeschlagener Amadeo Lax packt seine wenigen Sachen aus. Von einem Tag auf den anderen schlagen Männer in blauer Arbeitskleidung ein paar Möbel auf.
Wenn wir ihn wieder sehen, werden neun Jahre dazwischen liegen, und er wird sich selbst sehr viel ähnlicher sein.
In dieser Zeit ereignet sich eine Katastrophe, die alles mit sich reißt. Bekannte Figuren sind zu erkennen, die alles mit kämpferischen Stimmen und Parolen erfüllen. Es kommt zu Überfällen, und im Wagenhof brennen Feuer, die mit den Büchern aus der Bibliothek gespeist werden. Es gibt Plünderungen und Vergewaltigungen und Tote. Es kommen Fremde, die die Lehnsessel mit den abgewetzten gelben Samtpolstern von ihrem angestammten Platz holen. Andere tragen Teppiche heraus, das Klavier aus kubanischem Edelholz, die Lampen, das Grammophon, die Kleidungsstücke und die Schreibtische. Eine Horde bewaffneter Männer thront auf den Luxuskarossen des Señor Lax und fährt eine nach der anderen vom Hof. Die Hausangestellten leiden unter dem Lärm der Bomben sowie den furchtbaren Meldungen von Blutbädern und Aufständen. Nach und nach löst sich das Bild auf, das Personal ist verschwunden, und wir warten auf Amadeos Türschlag.
Nun hören wir ihn, Amadeos letzten Türschlag, der sich wie ein fernes Echo ankündigt, ein schreckliches Knarren, das durch die Räume dringt, das den Wandel der Zeit vorhersagt, und auch das Ende und den Anfang von vielen Dingen, bis er schließlich so fürchterlich wie ein Donner inmitten der Steine dröhnt.
Ach, wir könnten noch weitergehen, endlos weitertanzen.
Wir könnten Teresa zum Leben erwecken, erneut das Sonnenlicht in den Patio fluten lassen und wieder Rosenstöcke und Efeu anpflanzen, Laia verjüngen, bis sie zurück im Mutterleib ist, Antonia heimkehren und Maria del Roser auferstehen lassen, noch einmal auf die Hochzeit gehen, das Mädchen Brusés ihrer verrückten Familie zurückgeben, die Hoffnung hegen, dass die Brüder sich aussöhnen, Don Rodolfo aus seinem Kloster der nomadisierenden Nonnen holen, flaschenweise das Parfüm bestellen, mit dem Rorró ihren Ausschnitt benetzte, um ihren Mann zu bezirzen, die Möbel und die Vorhänge wieder prunken sehen und den Glanz des gelben Samtpolsters der Lehnsessel im Salon preisen. Und zuletzt, um schließlich zum Ende zu kommen, könnten wir jedes kleine Stück an seinen Platz schicken, die Mauern Stein für Stein auseinanderbrechen und diesen Ort unbebaut und menschenleer zurücklassen, genau wie zu dem Zeitpunkt, als Don Rodolfo Lax Frey, ein Mann, der in die Zukunft sehen konnte, an dieser Stelle stehen blieb, die Augen zusammenkniff und davon träumte, hier sein Haus zu bauen.
Dieser Roman wurde zwischen April 2009 und November 2010 in Mataró, Madrid, Turégano und Como geschrieben.
Dramatis personae
(Unterstrichene Namen kennzeichnen historische Persönlichkeiten)
ALBERT DESPUJOL, JOSEP MARIA (1886–1952). Barón de Terrades, monarchistischer Politiker, Industrieller sowie 1945–1951 Bürgermeister von Barcelona. Direktor des Textilunternehmens La España Industrial, 1909 Heirat mit Maria del Carmen Muntadas i Estruch, der Tochter des Fabrikbesitzers. 1936 flüchtete er aus dem republikanischen Barcelona nach Italien, um sich gleich darauf in Sevilla dem franquistischen Aufstand gegen die Zweite Republik anzuschließen.
ALEXIA. Cousine zweiten Grades von Amadeo Lax. Bei ihr wuchs Modesto Lax seit seinem vierten Lebensjahr auf.
ALFONSO XIII . (1886–1941). Seit seiner Geburt bis zur Ausrufung der Zweiten Republik 1931 König von Spanien. Sohn von Alfonso XII. und dessen zweiter Frau Maria Christina von Österreich, die bis 1902, der Volljährigkeit ihres Sohnes, die Regentschaft ausübte. Alfonso XIII. heiratete mit 20 Jahren Victoria Eugénie von Battenberg. Nach den Wahlen im April 1931 begab er sich ins französische Exil.
AMÉLIE. Persönliche Assistentin von Modesto Lax Brusés, dem Vater von Violeta Lax Rahal, und später dessen zweite Ehefrau.
ANTONIA. Kinderfrau von Teresa Brusés und deren Geschwistern, bis 1933
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