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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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ehemaligen Patio, und immer wieder haben sie auf Teresa angestoßen, die ihnen von dem Wandgemälde aus geheimnisvoll zusah. Eines Tages sind sie verschwunden und nie wieder gekommen. An ihrer Stelle ist uns nur dieses so traurige Schweigen geblieben, das Tag und Nacht vom Sirenengeheul unterbrochen wurde. An manchen Morgen, vor allem in diesem verfluchten Jahr 1938, konnten wir kaum eine Stunde am Stück schlafen. Die ganze Stadt lebte in Angst und Schrecken. Die Bomben kamen vom Himmel und vom Meer, und manchmal schlugen sie so nah ein, dass wir die Verwundeten schreien und die Kinder weinen hören konnten. Eine Bombe erwischte eine volle Straßenbahn an der Plaza de Catalunya. In den Hauptstraßen türmten sich die Leichen, Sirenen unterbrachen immer wieder die Suche nach Überlebenden in den Trümmern. Alle ergriffen die Flucht, sie hatten Angst und ließen die Sterbenden im Stich. Es hieß, die Flugzeuge kämen von den Italienern. Dann habe ich an dich gedacht und mich gefragt, was Italien eigentlich gegen uns hat. Warum musste Barcelona für seine Rettung so viel Leid durchstehen? Die Bomben, die Trauer, die Plünderungen, der Brand, der Krieg, die Armut, die Erniedrigung, und die Tränen, all diese Tränen.
Nun wird die Stadt allmählich wieder ganz die alte, aber sie ist in zwei Lager geteilt. Die Sieger feiern ihren Triumph. Die Verlierer gehen mit gesenkten Köpfen herum. Ich weiß nicht, zu welchem Lager ich gehöre. Ich weiß nur, dass ich aus einer anderen Zeit stamme. Aus einer weit entfernten Zeit, die für immer verschwunden ist.

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich Teresas Porträt an der Wand im alten Patio entdeckte. Es gleicht ihr dermaßen, ihr Gesichtsausdruck ist so wahrhaftig getroffen, dass ich bei dem Anblick immer noch erschauere. Du wirst gerne von mir hören, dass es keinen Schaden erlitten hat, auch wenn uns das ganz schöne Mühen gekostet hat. Wir haben keine Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen, aber ich kann es immer noch nicht fassen. Ich begreife nicht, wie Teresa einfach gehen und das hinter sich lassen konnte, was für sie das Wichtigste gewesen ist: dich und ihren Sohn. Du hättest das Gesicht ihrer Schwester sehen müssen, als ich es ihr berichtete, nachdem ich mit dir gesprochen hatte. Doña Tatín sah überhaupt nicht überrascht aus. Sie sagte: »Das hätte längst passieren müssen.« Aber dann wirkte sie doch verwirrt. Sie ließ sich im Garten in einen Sessel fallen und hat den gesamten Nachmittag mit niemandem geredet. Sie ist noch am selben Abend weggefahren. Julián hat versucht, sie davon abzuhalten. Er sagte ihr, dass die Lage zu unsicher sei, um als Frau allein unterwegs zu sein, noch dazu am Steuer ihres eigenen Wagens. Aber sie hat nicht auf ihn gehört. Sie war bewaffnet, und sie hat sich sicher gefühlt. In dem Moment konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihr etwas Ernstes zustoßen könnte. Wir haben später erfahren, dass sie auf der Rückfahrt kurz vor Barcelona überfallen wurde. Man hat ihr den Wagen und ihren Schmuck gestohlen. Wenn sie nicht die Waffe gezogen hätte, wäre ihr vielleicht nichts passiert. Aber sie hat die Angreifer mit ihrer Pistole bedroht, und die waren schneller als sie.
Nun komme ich zum Schluss, Amadeo. Mir bleibt nur noch, dir zu schreiben, dass wir alles getan haben, was in diesen harten Zeiten in unseren Händen lag. Bestimmt ist es nur eine Frage der Zeit, dass für dich alles wieder so wird wie früher. Viele Menschen hier warten auf deine Rückkehr, und die Leute deines Standes führen in der Stadt wieder ihr altes Leben. Selbstverständlich warte auch ich auf dich, aber ich fürchte, ich werde nicht lange genug leben, um dich noch einmal zu sehen. Wenn – mit ein wenig Glück – deine Augen über diese Zeilen schweifen, möchte ich, dass du weißt, dass ich dich zeit meines Lebens wie einen eigenen Sohn geliebt habe, zeit meines Lebens. Genauso, wie ich es dir an jenem Tag vor einundvierzig Jahren versprochen habe.

Mein Liebling, möge Gott dich behüten.

Conchita

XXVI
    Ach, die Zeit, diese allumfassende Macht. Sie vernichtet die menschlichen Wesen. Sie zermürbt die Steine. Sie regt Romanschriftsteller an und langweilt die Geister.
    Schweigend wohnen wir Leblosen der Museumseröffnung bei. Viele gesprächsbereite Unbekannte sind anwesend, eine Herde Schaulustiger dringt in alles ein. Hinter den modernisierten Wänden stecken keine Geheimnisse mehr, die Zimmer wurden zu geräumigen,

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