Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
unpersönlichen Sälen erweitert, die die Gemälde in den Mittelpunkt rücken.
Wir schnüffeln zwischen den Gemälden und den Besuchern herum. Wir sind glücklich wie Kinder, dass wir Violeta inmitten der Veranstaltung sehen. Sie hört zu, sie spricht, sie glänzt. Endlich befindet sie sich dort, wo sie hingehört. Fiorella Otrante an ihrer Seite trägt eigens zu diesem Anlass ein neues schwarzes Spitzenkleid, und ihre Augen werden feucht, als sie aus den Mündern der Politiker deren dankbare Worte vernimmt. Der Körper ihrer Mutter, für alle Ewigkeiten jung und schön, verblüfft auf den im Hauptsaal gezeigten Bildern alle Anwesenden. Sie bilden mit den Teresa-Porträts das Herzstück der Sammlung. Auf Wunsch der Museumsdirektorin, die weiß, dass diese Zusammenführung ein Akt der Gerechtigkeit ist, werden sie zum ersten Mal zusammen gezeigt. Modesto ist auch hier, Hand in Hand mit einer jungen Blondine. Dort drüben ist Valérie mit ihrem Restaurantbesitzer. Silvana sieht sich um. Sie ist zufrieden. Violetas Zwillinge Iago und Rachel sind wohlerzogen und der langen Reden ebenso überdrüssig wie wir – wir Gespenster sind wie Kinder, wir hassen Monologe. Sie sehen zu ihrem Vater hinüber, aus ihrem Blick spricht die Frage, wie lange es noch dauert. Daniel lächelt ihnen zu und beruhigt sie ohne Worte. Arcadio hat sich für diesen Anlass als Mann mit Geschmack verkleidet. Die dunkle Lederjacke ergibt mit seiner grauen Hose eine perfekte Kombination, die Krawatte scheint zu den Schuhen zu passen. Für ihn ist dieser ebenso glanzvolle wie langweilige Festakt der Höhepunkt eines langen Kampfes, für den er sein Leben und zuweilen auch seine Gesundheit aufgerieben hat. Wenn er die Grenze überschreitet, die uns noch trennt, werden wir einen Weg finden, ihm unsere Dankbarkeit zu zeigen.
Vom Patio aus überwacht Teresa, nun wieder an Ort und Stelle, mit ihrem abwesenden Blick die Sterblichen. ›Arme Geschöpfe, unfähig, sich selbst zu überdauern‹, scheint sie zu denken. ›Das Gedächtnis unserer Nachfahren ist brüchig‹, flüstern wir im Chor und bedanken uns dafür, dass etwas – und sei es auch nur so etwas Geringes und Trügerisches wie eine Romanhandlung – unsere Spur in der Welt bezeugt.
Jetzt wäre es einfach, die Uhr weiterlaufen zu lassen. Aber die Wasser der Zukunft sind sehr ruhig, und wir sind stürmische Gefühle gewohnt. Wir haben unsere Vorlieben. Den Kalender überschreiten. Zurückgehen. Alles bis ins kleinste Detail inventarisieren, während wir uns einen Zeitvertreib ausdenken, der unserem Geschmack entspricht. Wir nennen das Spiel »Alles auf Anfang«. Auf die Plätze, fertig, los …
Wir verlassen den eleganten Festakt der Eröffnung und sehen, wie die Handwerker alles mit Lärm, Gerüsten und fremden Sprachen erfüllen. Als sie verschwunden sind, ist Violetas Zimmer wieder zugemauert und versteckt, all ihre Geheimnisse sind gut aufgehoben für eine lange Zeit, und die Kleidungsstücke und die Schuhe erhalten Tag für Tag ein wenig mehr von dem Glanz, den ihnen die Zeit genommen hat. Teresa kehrt wieder in ihre Grabkammer zurück, die, einmal versiegelt und unsichtbar gemacht, den Ort bewacht, der früher der Patio gewesen war, während von den Wänden die abgebröckelten Stellen verschwinden und die feuchten Stellen immer jüngeren Mauern weichen. Dann folgen etwa dreizehntausend Tage der Einsamkeit, die nur zuweilen durch lästige Besucher gestört wird, die uns von unserem ziellosen Herumstreifen ablenken. Wir meinen damit nicht Arcadio, ihn kennen und mögen wir. Wir schließen gerne Wetten über seine Aufmachung ab, seine nachlässige Kleidung bedauern wir genauso, wie wir ihm für seine für menschliche Wesen so ungewöhnliche Beharrlichkeit dankbar sind. Arcadio ist einer von uns. Nein. Uns stören diese beleibten Politiker, die hier ihre Festakte veranstalten und keine Ahnung haben. Wir amüsieren uns damit, ihre Pläne zunichtezumachen, auch wenn unsere Möglichkeiten – anders als die Leute denken – in dieser Hinsicht sehr beschränkt sind.
Plötzlich befinden wir uns bei der Totenwache von Amadeo Lax. Wir Geister feiern ein Fest. Wir freuen uns, ein neues Mitglied zu begrüßen, doch dem Toten geht es plötzlich besser. Er öffnet die Augen, er steht auf, er ist erstaunt. Er geht in dem großen Salon mit dem Kamin auf und ab, der so angestaubt und leer ist, wie er selbst sich heute fühlt. Es ist nicht erstaunlich, wenn man von den dreißig Jahren
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