Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
macht!«
»Warte«, fiel Joséphine ihr ins Wort. »Fang noch mal von vorne an … Ich habe gerade nicht richtig hingehört.«
Sie hatte eine Hand auf Shirleys Arm gelegt und umklammerte ihn so fest, als hinge ihr Leben daran. Als Shirley die aufgeregte, begierige Miene ihrer Freundin sah, ahnte sie, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie wusste, was ihre Freundin vor ihr verheimlichte.
Bald würde sich alles aufklären. Joséphine war also auf der Suche nach einer Geschichte, die sie erzählen könnte. Um ein Buch zu schreiben? Ein Drehbuch? Noch kannte sie des Rätsels Lösung nicht, aber sie war guter Dinge. Und so willigte sie ein, Jo die Handlung von Immer mit einem anderen zu erzählen, dem Film von Jack Lee Thompson, den sie einen Tag zuvor im Fernsehen gesehen hatte.
»Aber das ist doch meine Idee! Genau das Gleiche ist mir gestern auch eingefallen! Die Geschichte eines Mädchens, das weder reich noch mächtig sein will und arme Männer heiratet, die alle Erfolg im Leben haben, weil sie nur ihre Frau zu werden braucht, damit ihnen Glück und Reichtum beschieden ist. Wie heißt der Film?«
Shirley wiederholte den Titel. Joséphine ballte vor Aufregung die Fäuste.
»Ich habe noch nie erlebt, dass du wegen eines Films dermaßen aus dem Häuschen gerätst«, bemerkte Shirley spöttisch.
»Aber das ist doch nicht irgendein Film! Das ist die Geschichte, die ich in meinem verflixten Roman erzählen wollte …«
Sie biss sich auf die Lippen, als ihr bewusst wurde, dass sie sich verraten hatte. Shirley triumphierte stumm und entgegnete nichts.
»Jetzt ist es raus …«
»Ich werde nichts verraten. Versprochen. Das schwöre ich bei Garys Leben!«
Shirley hob eine Hand zum Schwur und kreuzte die Finger der anderen hinter ihrem Rücken, denn sie hatte sehr wohl die Absicht, Gary davon zu erzählen. Sie erzählte ihrem Sohn alles. Alles, was wichtig war, um das Leben zu verstehen. Wie die Menschen einen ausnutzen, einem Schuldgefühle einreden, einen verletzen. Damit er sich vorsah und nicht zu vertrauensselig war. Sie erzählte ihm auch von Großzügigkeit, von Liebe, von Begegnungen, von schönen Festen. Sie gehörte nicht zu den Erwachsenen, die der Ansicht waren, über »gewisse Dinge« solle man mit Kindern nicht reden. Sie war vielmehr der Ansicht, dass Kinder alles wüssten, und zwar noch vor den Erwachsenen. Dass sie über eine teuflische Intuition verfügten – oder eine himmlische, je nachdem, wie man es sähe –, aber sie wüssten Bescheid: Sie wissen vor ihren Eltern, dass diese sich trennen werden, sie wissen, dass Maman heimlich trinkt, dass Papa mit der Kassiererin vom
Supermarkt schläft oder dass ihr Opa nicht friedlich in seinem Bett an einem Herzinfarkt gestorben ist, sondern sein Leben beim Sex mit einer Stripperin an der Place Pigalle ausgehaucht hat. Man beleidigt sie, wenn man glaubt, sie hätten keine Ahnung. Wie auch immer, erklärte sie kategorisch, denken Sie darüber, wie Sie wollen, ich jedenfalls halte meinen Sohn nicht für einen zurückgebliebenen Trottel!
»Siehst du, ich habe gleich Ärger gewittert, als ich reingekommen bin«, sagte sie, um Jos Vertrauen zu gewinnen und sie dazu zu bringen, ihr mehr zu verraten.
Sie sah immer noch nicht völlig klar. Ein paar Puzzlestücke fehlten ihr noch.
»Ich bin selbst schuld«, stammelte Joséphine, »ich habe dich unterschätzt …«
»In solchen Dingen bin ich sehr gut, Jo, dafür hat man mir oft genug übel mitgespielt. Mit der Zeit habe ich einen siebten Sinn dafür entwickelt, wenn jemand übers Ohr gehauen werden soll.«
»Aber du darfst niemandem davon erzählen!«
»Keine Sorge …«
»Sie wäre außer sich, wenn sie wüsste, dass du Bescheid weißt …«
Wen meinte sie? Iris? Shirley setzte eine wissende Miene auf, um Joséphine auch noch den letzten Rest ihres Geheimnisses zu entlocken.
»Ich muss wirklich lernen, besser zu lügen …«
»Und dafür bist du nicht besonders talentiert, Joséphine!«
»Ich schwöre dir, als Iris mir vorgeschlagen hat, für sie zu schreiben, habe ich erst abgelehnt …«
Volltreffer!, dachte Shirley, Iris steckt also dahinter. Hab ich’s doch gewusst, aber was bezweckt sie damit?
»Diesen Roman zu schreiben, für den du noch eine Idee suchst …«
»Ja. Sie hat mir vorgeschlagen, mein vermeintliches schriftstellerisches Talent zu versilbern … Fünfzigtausend Euro, Shirley! Das ist viel Geld.«
»Und wozu brauchst du so viel Geld?«, fragte Shirley
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