Die gelehrige Schuelerin
faul, stinkend, verachtenswert und abstoßend. Keine Frau würde je mit einem so widerlichen Menschen wie mir zusammen sein wollen.
»Ich könnte mich verändern. Ich könnte es lernen, meine sexuellen Begierden unter Kontrolle zu bekommen und anständig zu leben.
Aber vielleicht könnte ich mich auch nie wieder so total zu einem Menschen bekennen. Ich würde meine Liebe jedenfalls nie wieder so eingestehen. Wollte nicht jeder in Wirklichkeit immer nur das, was er nicht kriegen konnte?
Ich fand keine Antworten. Am liebsten hätte ich laut geschrien: »Liebe, Liebe, du liebst mich nicht, ich liebe dich, liebst du mich nicht, doch, nicht wahr?« Aus Mangel an Glauben an mich selbst brauchte ich hohle Worte, an die ich mich klammern konnte. Ich wollte an meiner einfältigen Einstellung festhalten – die hinten am Wagen festgebundenen leeren Konservendosen und das JUST MARRIED-Schild rasselten mir immer wieder durch den Kopf, begleiteten mich auf Schritt und Tritt. Annie würde für mich einfach alles wieder in Ordnung bringen.
Aber ich setzte mich nur wieder resigniert an das nächste Kapitel von
It’s a Wondcrful Life,
oder was sonst gerade herumlag. Diese Ausflüchte in die Masturbation über pornografischem Schund mussten mir statt Annie helfen.
Ja, und auch die Masturbation war aus dem Takt gekommen, da meine rechte Hand ja gebrochen war und ich die linke benutzen musste. Ich konnte einfach kein richtiges Timing finden.
Die Schlagzeilen der Sonntagszeitung verkündeten eines der großen Ereignisse in der Geschichte Oregons … die Premiere des ersten Films mit pornografischem Inhalt in einem regulären Kino. In Salem. Der Film
Emanuelle
eroberte jetzt Amerika im Sturm, während er in ganz Europa schon mit überwältigendem Erfolg gelaufen war. Er galt als der geschmackvollste aller geschmackvollen erotischen Filme. Ich hatte ihn in New York schon einmal gesehen und fragte mich, warum er es geschafft hatte, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Sex, der in ihm geschildert wurde, von Bedeutung wäre, dass die Erotik in diesem Film eben keine Pornografie sei. Irgendwie hatte er die feine Grenze überschritten, die das Schmutzige vom Achtbaren trennte, und ganz normale Leute hatten plötzlich das Gefühl, es sei okay, sich diesen Film anzusehen (hatten sie die richtige Werbeagentur erwischt?). Ich beschloss, an diesem Ereignis teilzunehmen.
Cinemaplex 3
befand sich in Salems Innenstadt. Die Straßen waren hell erleuchtet. Überall Autos. Ich war etwas verlegen, dass ich jetzt in einen Pornofilm gehen wollte, allein, verdreckt, in meinem alten Regenmantel, während sonst nur
normale
Menschen anwesend sein und sofort erkennen würden, was aus mir geworden war. Aber ich hatte nicht mehr die Kraft, mir klar zu machen, dass ich nur wegen des Sexaktes hineinging. Ich wollte Sex als Kunst sehen. Ich wusste genau, warum ich hergekommen war.
Ich parkte meinen Wagen in der Nähe einer Tankstelle, die um die Ecke lag. Der Film fing um halb neun an. Ich wartete bis zwanzig vor neun und kaufte dann schnell eine Karte, leise »Eine« zur Verkäuferin nuschelnd und froh, dass die Leute vor mir alle schon saßen und sich auf die Leinwand konzentrierten. Die Dunkelheit im Kino machte mich zu irgendeinem Schattenwesen. Ich fand einen Sitzplatz, der weit von der Menge entfernt war.
Während der letzten Wochen war ich oft in diesen Buchladen gegangen, hatte mich noch etwas in der Gegend herumgetrieben und ab und zu auch mal eins von diesen Kinos besucht. Dort hatte ich nie Probleme gehabt, mir einfach eine Karte zu kaufen und mit allen Leuten zusammen reinzugehen. Alle gingen mit gesenktem Kopf und sahen niemals hoch, alles Männer. Und wir setzten uns instinktiv weit auseinander, weit nach vorn, ganz nach hinten, häufig direkt an den Rand oder »in« die Logen … Eine unheimliche Stille erfüllte das Kino, wenn sich auf der Leinwand Frauen liebten oder mit sich selbst spielten. Das Theater hätte bestimmt nicht viel anders ausgesehen, als wenn es leer gewesen wäre. Die wenigen Köpfe, die über die Sitzlehnen hinausragten, bewegten sich nie.
Bei
Emanuelle
überraschte mich unvermittelt die Zusammensetzung des Publikums. Alle waren paarweise erschienen, die meisten beschäftigten sich raschelnd geräuschvoll mit Popcorntüten, Bonbonpapier und Ähnlichem, und fast alle saßen auf den besten Mittelplätzen. Der Film jedoch, der Europa im Sturm genommen hatte, war nichts anderes, als was ich in den letzten Wochen gesehen
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