Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
hatte. Das Mädchen drückte sich an sie und schien noch
einmal den vertrauten Duft ihrer Kindheit einzusaugen.
„Du wirst mir fehlen, mein Kind.“ Zhoushengs Augen
glänzten verdächtig. Wo war nur die Zeit geblieben? Vor ihrem geistigen Auge
sah sie das kleine Mädchen, das Min-Tao noch vor wenigen Jahren – sogar noch
vor wenigen Wochen – gewesen war.
Min-Tao hatte sehr bald mit dem Laufen begonnen –
noch bevor sie sprechen konnte – und auch später sehr neugierig ihr Umfeld
erkundet. Man hatte Min-Tao nur schwer im Haus halten können und Zhousheng
kannte den ausgeprägten Freiheitsdrang ihrer Tochter. Das war auch der Grund
gewesen, warum sie so geschockt war, als ihr Mann sie davon in Kenntnis gesetzt
hatte, wo ihr gemeinsames Kind seine Zukunft verbringen würde. Hatte er
nicht bedacht, dass man einen geeigneteren Mann hätte finden können, mit dem
Min-Tao ein weniger eingesperrtes Leben hätte führen können? Würde der Kaiser
sie gut behandeln?
Zhousheng betrachtete ihre Tochter in den letzten
Minuten besonders genau. Min-Tao war relativ groß gewachsen. Das schwarze Haar
fiel ihr in dichten Strähnen vom Kopf und sie hatte sich angewöhnt, es mit
einem fliederfarbenen Band zusammenzubinden. Min-Taos Haut war noch immer weich
wie die eines Kindes. Ihr Blick fiel auf die Hände ihrer Tochter, die die ihren
nun ergriffen hatten. Das Kind – ihr Kind – hatte schöne, schmale und lange
Finger; sie hatte die Hände ihrer Großmutter.
Zhousheng konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Ich werde Euch auch vermissen. Denkt nur immer an
mich!“, bat Min-Tao.
„Du wirst es schaffen“, wollte Zhousheng sagen,
doch ihre Stimme versagte ihren Dienst.
Eine letzte Umarmung, dann ging Min-Tao zur Kutsche.
Bevor sie einstieg, drehte sie sich noch einmal um und betrachtete alle
Menschen, die sich zu ihrem Abschied versammelt hatten. Die gesamte Dienerschaft
im Hintergrund verneigte sich und Zhousheng hob die Hand zum Gruß. Min-Tao
verschwand in der Kutsche. Sie schaute nicht wieder heraus, und so war das
letzte, was Zhousheng von ihrer Tochter sah, eine sich entfernende Kutsche.
***
Nachdem wir abgefahren waren, schaute ich lange
Zeit nicht zurück. Der Anblick hätte mich mit Sicherheit zum Weinen gebracht
und ich wollte vor Vater keine Schwäche zeigen.
Während der ersten Tage unserer Reise hatte er versucht,
Konversation zu betreiben, doch ich war nicht sehr gesprächig gewesen. Um die
peinliche Stille zu überbrücken, plapperte Pjeng-Mi ununterbrochen vor sich
hin.
„Was für eine aufregende Zeit auf Euch zukommt,
Herrin. Man könnte direkt neidisch sein auf Euch. Man sagt, der neue Kaiser
würde sehr gut aussehen.“
So gut es ging, versuchte ich ihr Geschwätz zu
ignorieren.
„So? Sagt man das?“, antwortete ich gelangweilt.
Es interessierte mich kein bisschen, wie gut oder schlecht Shenzong aussah.
„Jaja. Ich habe gehört, er ist gerade erst zwanzig
geworden. Das ist doch wundervoll?“
„Was ist daran wundervoll?“, fragte ich gereizt.
„Herrin, ich muss mich doch wundern.“ Pjeng-Mi sah
mich erstaunt an. „Es ist doch bei so einer Angelegenheit nicht gerade
eine Nebensache, ob der Mann gut aussieht.“
„Von welcher Angelegenheit sprichst du?“, wollte
ich wissen.
Die Zofe blickte prüfend auf Vater, der vom
Schaukeln der Kutsche eingeschlafen war, als wollte sie sich vergewissern, dass
er wirklich schlief. Sicherheitshalber beugte sie sich zu mir und flüsterte:
„Wenn er mit Euch schläft, werdet Ihr froh sein, wenn er jung und hübsch ist.“
„…mit mir schläft?“ platzte ich laut heraus, sah erschrocken
zu Vater und fragte etwas leiser: „Was meinst du, um Himmels Willen? Ich bin
doch nicht seine Gemahlin! Ich bin eine Nebenfrau. Und...“ Ich brach meinen
Satz ab. Daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Würde ich etwa mit dem
Kaiser schlafen müssen?
In diesem Moment hielt die Kutsche an und ich war
froh, die schaukelnde Kiste verlassen zu können. Mir war bei den neuesten Erkenntnissen
ziemlich übel im Magen geworden, was durch den Hunger, den ich verspürte, nur
noch verstärkt wurde.
Wie sehr wünschte ich mir jetzt Mutter an meine
Seite. Mit ihr hätte ich wenigstens sprechen können. Hier gab es nur
diese geschwätzige Zofe und Vater, mit dem ich über so etwas sicherlich am
wenigsten sprechen konnte. Abgesehen davon, dass auch er wohl kaum eine solche
Unterhaltung mit mir führen wollte.
Meine Annahme wurde nur
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