Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
TEIL I
VOM Mädchen zur Frau
1 Eine Teezeremonie und ihre Folgen
Dongjing, Frühling 1069
Der Kirschbaum, in dessen Schatten ich saß, hatte
vor wenigen Tagen begonnen, rosa Knospen zu bilden. Mein Blick wanderte über
die Gartenanlage, und ich freute mich einmal mehr über die hervorragende Arbeit
der Hofgärtner, die in dem künstlich angelegten Park ein Stück idyllische
Naturlandschaft geschaffen hatten. Hier fühlte ich mich stets vollkommen eins
mit allem um mich herum. Ich spürte den leichten Wind über meine Wangen
streichen, hörte das Rascheln der Bäume, das Knistern des Schilfes, welches die
Teiche in der Nähe umrahmte. Von dort erklangen auch die Rufe von Enten. Ein
großer Schwarm Singvögel hatte sich im Flieder, der einige Schritte entfernt
stand, niedergelassen und veranstaltete ein Konzert. Dennoch konnte der Vogelgesang
nicht das stete Summen der Insekten übertönen, die nun verstärkt im Garten nach
Blütenstaub suchten. Ein Käfer flog brummend an meinem Ohr vorbei und ich
quietschte vor Überraschung. Als ich ihn mit der Hand beiseiteschob, änderte er
seine Flugbahn und landete auf meinem Knie. Dem Käfer schien der Landeplatz zu
gefallen. Er fuhr seine Flügel ein und saß regungslos da. Nur seine Fühler
vibrierten ein wenig. Zufrieden lächelte ich und lehnte mich an den Baumstamm;
dabei schweifte mein Blick zur Baumkrone. Einige wenige Knospen hatten sich zu
Blüten geöffnet und ich fühlte mich an meine Heimat erinnert. Damals war es
auch die Zeit der Kirschblüte gewesen, als ich im Hause meiner Eltern geboren
wurde.
Mir wurde wieder einmal bewusst, wie weit entfernt
mein Elternhaus war und Wehmut stieg in mir auf. Über neun Monde war es nun
her, dass meine unbeschwerte Kindheit so plötzlich geendet hatte. Im Sommer des
letzten Jahres hatte mein Vater mich drei Monde nach meinem dreizehnten
Frühling hierher gebracht, nach Dongjing in den Palast des Kaisers Shenzong...
***
Qing, Sommer 1068
„Hast du es ihr schon gesagt?“
Zhousheng drehte sich zu ihrem Mann, der sich
gerade neben sie gelegt hatte. Lin-Wu deckte sich zu und starrte an die Decke.
Jeden Abend stellte seine Frau ihm die gleiche Frage; und jeden Abend musste er
verneinen.
„Es war noch nicht der richtige Zeitpunkt.“ Damit
hatte sich diese Angelegenheit für ihn erledigt – zumindest dachte er das.
„Wann wirst du es ihr sagen?“
„Wie oft willst du mich das noch fragen, Frau? Es
ist nicht so einfach!“
Zhousheng schnaubte: „Es war auch einfach, sie dem
Kaiser zu versprechen, nur weil du unbedingt Gouverneur werden wolltest!“
„Weib, ich werde hier keine Diskussion mit dir
anfangen! Du weißt sehr wohl, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.“
Doch sein Weib war da anderer Meinung: „Ich
verstehe nicht, welches Interesse der Kaiser sonst an unserer Tochter haben
sollte.“
Lin-Wu starrte weiter an die Decke und lenkte
seine Aufmerksamkeit nach innen, während seine Frau ihm schon wieder ihren
Vortrag hielt. Warum konnte sie nicht erkennen, dass er nur das Beste für seine
Tochter gewollt hatte?
Er war seit Jahren Beamter im Stab des Gouverneurs
gewesen und hatte dessen Vertrauen genossen. Anfangs war es schwierig, unter
der Vielzahl von Beamten herauszuragen, zumal seine Kollegen dank ihrer
Bestechlichkeit ein leichteres und luxuriöseres Leben hatten und er sich keine
kostspieligen Verköstigungen seines Vorgesetzten erlauben konnte. Doch stets
hatte er an seiner Vision eines gerechteren Staates festgehalten und war
letzten Endes durch seinen Willen aufgefallen. Mit der Zeit waren ihm mehr und
mehr Kompetenzen übertragen worden und offenbar hatte er seine Arbeit
gutgemacht: Er war an den kaiserlichen Hof eingeladen worden.
Er erinnerte sich, wie aufgeregt er gewesen war,
als er von Seng Mo-Ti, einem Hofbeamten, empfangen wurde. Zunächst war er von
einem Hausdiener in das Teezimmer gebracht worden. Lin-Wu hatte in seinem Haus
noch keine spezielle Kammer für Teezeremonien, umso interessierter sah er sich
in dieser um. Sein Gastgeber war zweifelsohne der neuen Sammelleidenschaft der
gehobenen Gesellschaft verfallen: Seitlich stand ein Tischchen, auf dem sich
vielerlei Tee-Utensilien in verschiedensten Ausführungen befanden. Unter den
Gelehrten und Würdenträgern war es mehr und mehr verbreitet, dieses Zubehör als
Kunstobjekte zu betrachten und diese auch als solche zu behandeln. Mo-Ti besaß
ausschließlich dunkel glasierte Becher und
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