Die Geliebte des Kosaken
vorsichtig Unkräuter ausstach und die Pflanzlöcher vorbereitete, sah ich das fertige Bild vor meinem inneren Auge. Für andere mochten es nichtssagende braune Knollen sein – für mich waren es die feuerroten Blütenbälle des Roten Sterns , die leuchtend orangefarbenen der Glorie von Norwijk oder die fast schwarzen der Arabischen Nächte .
Die letzten Jahre war ich allerdings nur noch selten dazu gekommen, meinen Garten hingebungsvoll zu pflegen. Mutters Krankheit, die ich anfangs für einen Trick gehalten hatte, noch mehr meiner Zeit für sich zu beanspruchen, hatte immer stärker unser tägliches Leben bestimmt. Ob im Krankenhaus oder zu Hause, sie ließ mich kaum von ihrer Seite. Auch wenn sie zu schlafen schien, öffnete sie sofort die Augen, sobald ich Anstalten machte, mich wegzuschleichen, und fragte anklagend: »Wo willst du denn hin?«
Wusste der Pfarrer, wovon er sprach, wenn er sagte, das Wohlergehen ihrer Tochter sei der rote Faden gewesen, der sich durch ihr Leben gezogen hatte? Ich schluckte, um den Geschmack der Bitterkeit loszuwerden. Dabei fiel mein Blick auf eine rundliche alte Frau in Schwarz, die unterdrückt keuchend angehastet kam. Wollte sie zu uns?
Nur meine Freundin Monika hatte ich wider besseres Wissen gefragt, ob sie kommen würde, und ihr betretenes Schweigen am anderen Ende der Telefonleitung hatte mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass sie immer noch unter ihrer phobieähnlichen Abneigung gegen Beerdigungen litt. Also hatte ich mich beeilt, ihr zu versichern, dass es absolut unnötig wäre, dass sie extra anreiste. Ich käme gut zurecht. Ihr erleichtertes Aufatmen war Antwort genug.
Monika Böhm, wegen ihres jungenhaften Auftretens »Mike« genannt, war für zwei Schuljahre meine Banknachbarin gewesen und wurde während dieser Zeit zu der einzigen Freundin, die ich je hatte. Sie war die Einzige, die ich jemals bat, nach Hause einladen zu dürfen, und sie konnte wunderbar mit Mutter umgehen. Wenn Mike mich zu etwas mitnehmen wollte, wurde es mir erlaubt. Ich durfte sie sogar besuchen und erlebte staunend und ungläubig eine Familie, in der es in meinen Augen chaotisch zuging.
Als Mikes Vater überraschend starb und sie wegziehen mussten, war ich todunglücklich. Die erste Zeit schafften wir es, in Kontakt zu bleiben, aber Monika war keine große Briefschreiberin. Irgendwann kam dann ein Brief zurück, Empfänger unbekannt verzogen , und die Verbindung brach ganz ab.
Dann aber, vor einem halben Jahr, hatte sich Monika überraschend wieder gemeldet. Eines Abends klingelte das Telefon, und eine muntere Stimme fragte: »Hallo, Reni, kannst du dich noch an mich erinnern?«
Natürlich konnte ich! Von da an telefonierten wir regelmäßig miteinander. Einmal hatte ich sie sogar in ihrem kleinen Ort im Badischen besucht, etwas nervös, weil ich jeden Moment damit rechnete, zurück ins Krankenhaus gerufen zu werden.
»Davon, dass du dich verrückt machst, geht es ihr weder schlechter noch besser – also entspann dich und denk auch einmal an dich«, hatte Monika in ihrer unverblümten Art festgestellt. »Hast du dir überhaupt einmal Gedanken über dein Leben ohne sie gemacht? Das kommt – früher oder später, aber so sicher wie das Amen in der Kirche. Sieh die Dinge, wie sie sind: Sie wird auf jeden Fall vor dir sterben.« Energisch stülpte sie sich eine speckige Baseballkappe auf ihre feuerrot gefärbte Igelfrisur – sie erinnerte mich damit an eine Kaktusblüte, deren Auffälligkeit gleichzeitig Warnung ist, und sprang, mich mitziehend, von ihrem alten Ikea -Sofa auf. »Komm, ich zeige dir die Gärtnerei. Sie wird dir gefallen und dich ablenken.«
Und ob sie mir gefiel! Ich beneidete Monika glühend um ihr Reich, mit dem sich mein bescheidener Garten nicht messen konnte. »Wenn ich nur so leben könnte wie du!«, hatte ich sehnsüchtig gewünscht, und Monika hatte mir einen kurzen verständnisvollen Blick zugeworfen und gemeint: »Das müsste sich einrichten lassen. Aber so viel wie deine Bank könnte ich dir natürlich nicht zahlen.«
Wir fantasierten eine Weile über diesen Plan, ohne auszusprechen, dass Mutters Tod die Vorbedingung für seine Realisierung sein würde.
Monika hatte die Gärtnerei von Alfons, dem Vorbesitzer, quasi geerbt. Der alte Herr, ein leidenschaftlicher Blumenliebhaber, hatte keine Verwandten, und seine junge Angestellte war innerhalb kurzer Zeit zu einer Art Tochter geworden. Energisch hatte sie seine unwirtschaftliche Geschäftsführung
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