Die Geliebte des Kosaken
Klatschgeschichte!
Nein – sie würde sich nicht vor allen Freunden der Familie lächerlich machen. Oleg liebte sie, und sie vertraute ihm. Sein Schweigen musste einen triftigen Grund haben. Und dieser Grund – das sagte ihr Gefühl Natalja deutlich – hing mit seinem neuen Freund zusammen, diesem Dorogin.
Vor drei Tagen hatte die junge Braut den verzweifelten Entschluss gefasst, in St. Petersburg nach dem Verschwundenen zu forschen. Allein – ohne die Großmutter, die auf dem Gut nicht abkömmlich war. Die alte Dame hatte energisch widersprochen und die Reise verbieten wollen – war Natalja doch das einzige Kind ihres verstorbenen Sohnes, ihre Hoffnung und ihr Augapfel. Doch Natalja glich ganz und gar ihrem Vater: Von einem einmal gefassten Plan ließ sie sich nicht mehr abbringen.
Die Kutsche hatte inzwischen den Newski-Prospekt erreicht, und das ungleichmäßige Schwanken und Holpern des Gefährts war aufgrund des Kopfsteinpflasters in ein regelmäßiges Rütteln übergegangen. Längst hatten sie die Klostergebäude des Alexander Newski passiert, rechts war bereits die Kuppel der Kirche der Heiligen Katharina zu sehen, links ragte der Uhrenturm der Stadtduma in den lichten Abendhimmel, der nun langsam einen milchig rötlichen Schein annahm. Es war Juni, die Zeit des Flieders und der weißen Nächte.
Auf dem Newski herrschte reger Verkehr – mehrmals musste Jefim die Pferde zügeln, um kleineren Wagen, Sänften oder anderen Karossen die Vorfahrt zu lassen. Reiter in kurzen Jacken und Stiefeln, nach englischem Vorbild gewandet, zogen an ihnen vorbei, einige grüßten die junge Frau in der Kutsche, denn man erkannte den Wagen der Großfürstin Galugina, ihrer Großmutter. Dicht an den Gebäuden entlang schoben russische Händler, die vom Markt heimkehrten, ihre beladenen Karren, ihre weiten Kittel und Hosen waren abgerissen und von Straßenkot bespritzt; Frauen, in den traditionellen Sarafan gekleidet und die Köpfe mit bunten Tüchern umwickelt, liefen mit schweren Schritten über das Pflaster und schleppten geflochtene Körbe. An einer Straßenecke stand ein Krüppel mit einem Bauchladen und bot allerlei Tand feil, hinter ihm hatten sich einige Kinder um einen schwarzen, struppigen Hund geschart.
Zu anderer Zeit hätte Natalja das bunte Treiben auf den Straßen voller Neugier beobachtet – hatte sie St. Petersburg bisher doch nur während der dunklen Wintermonate erlebt, wenn man wegen der großen Gesellschaften und Bälle des Adels in das Stadthaus an der Moika übersiedelte. Doch jetzt war sie viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken und Hoffnungen beschäftigt, um für die lebhaften Szenen um sie herum Augen zu haben.
„Fahr nach rechts, Jefim!“, befahl sie, als die Petrikirche vor ihnen auftauchte.
Der Kutscher gehorchte, wenn auch unwillig, denn er hatte gehofft, recht bald zum Haus seiner Herrin zu gelangen, dort die Pferde auszuspannen und sich selbst ein gutes Abendessen und einige Stunden Schlaf gönnen zu dürfen. Die Reise von der Wolga bis St. Petersburg war kräfteraubend gewesen, denn der Regen hatte die Wege aufgeweicht. Immer wieder hatten Iwan, der Pferdeknecht, und der Diener Grigorij absteigen müssen, um das Gefährt aus einem der tiefen Schlammlöcher herauszuschieben.
Natalja musterte die Häuserreihen. Es gab hier etliche große, zweistöckige Gebäude, ganz in der Nähe befand sich auch das Haus der Großfürstin Korotkina, einer guten Freundin ihrer Großmutter. Gleich hinter der Petrikirche, hatte Oleg in seinem Brief geschrieben. Es konnte nicht mehr weit sein.
„Halt an, Jefim. Erkundige dich nach einem Andrej Semjonitsch Dorogin. Er muss hier irgendwo ein Haus besitzen.“
Jefim zügelte die Pferde und gab dem neben ihm sitzenden Iwan einen Rippenstoß, worauf sich der junge Bauer eilig vom Kutschbock schwang, um die verlangten Erkundigungen einzuholen. Der semmelblonde Iwan war zwar hochgewachsen und von breiter Statur, sein Lächeln war jedoch das eines Kindes. Schon sein erster Versuch, zu der gewünschten Auskunft zu gelangen, war von Erfolg gekrönt: Die angesprochene Bürgersfrau blieb stehen, lächelte den riesigen Kerl mit dem Kindergesicht mütterlich an und wies dann mit dem Zeigefinger auf eines der größeren, dreistöckigen Gebäude. Was sie zu Iwan sagte, konnte Natalja nicht verstehen, da eine vierspännige Equipage mit viel Lärm an ihnen vorüberrasselte.
„Das da drüben ist es“, erklärte Jefim der jungen Herrin, als Iwan wieder auf dem
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